Was mich derzeit am meisten anstinkt?
Ärzte, die sich in die Medien stellen, z.B. Der ARD bzw Tagesschau, und meinen für alle Ärzte zu sprechen. Konkret: KBV Chef Herr Dr. Gassen, ein Orthopäde (!!!!!!!!- und ich spare mir an dieser Stelle die altbekannten Witze, wir wissen alle wer den Topf mit Gold auf dem Fußballfeld bekommt…), Prof. Schmidt-Chanasit (bisher kein Fachbeitrag zu Covid-19, Stand heute Abend) und Prof. Streeck (bisher 3 Fachbeiträge zu Covid-19, Stand heute Abend).
https://www.tagesschau.de/inland/wissenschaftler-lockdown-101.html
Mal ganz ehrlich: da stellen sich 3 Leute hin, ein Orthopäde, der Verwaltungsarbeit macht, zwei Virologen, der eine auf HIV spezialisiert mit 3 Fachbeiträgen, die publiziert wurden, der andere auf Arbovirosen spezialisiert und noch keine Fachpublikation zum Thema Covid-19, schreiben an einem Positionspapier und behaupten damit die Meinung der Ärzteschaft zu vertreten. Das tun sie nicht. Kein Arzt aus meinem Umfeld, Internisten, Hausärzte, Anästhesisten fühlen sich dadurch ausreichend in ihrer Meinung vertreten. In kleinster Weise bildet sich die Medizin in Kliniken ab. Soll das jetzt ambulante und klinische Medizin auseinander treiben?
Wessen Meinung ist es denn eigentlich? Die der drei Verfasser und ihrer Anhänger oder Abhängigen? Die der Medien?
Wenn ich mich als KBV hinstelle und so etwas rausposaune, sollte ich wenigstens mal vorher schauen, mit wem ich das tue. Vielleicht nicht mit Personen, die unter Fachkollegen nicht gerade bekannt für ihre fachliche Expertise bezüglich Covid-19 sind? Fachliche Expertise heißt nicht, dass man mit Twitter umgehen kann. Wenn das die Fachqualifikation wäre, dann könnten wir Herrn Trump zum Weltvirologen erklären.
Ein Positionspapier mit viel heißer Luft und wenig Substanz… oder ich hab es überlesen… das sind doch vieles Dinge, die in Realität oftmals laufen oder geplant sind. Jedenfalls in MV. Andere Dinge sind so realitätsfern. Beispiel Putzfrauen und FFP2 Masken. Ja gut und schön, und wie soll das laufen? Die Reinigung ist in den Kliniken vom Outsourcing betroffen. Das sind keine klinikmitarbeiter. Wer soll der Kostenträger sein? Schnelltest vor dem Pflegeheim. Tolle Idee. Und realistisch betrachtet? Da arbeiten pro Wohnbereich 1 examinierte Pflegekraft. Die kann man dafür nicht abstellen. Der Rest sind Hilfskräfte. Die können oft noch nicht mal korrekt Insulin spritzen. In deren Händen einen fehleranfälligen Schnelltest, der bei falscher Anwendung falsche Ergebnisse liefert? Und so knapp besetzt, dass die oft nicht mal zum Toilettengang kommen. Denen soll man das jetzt auch noch aufnacken? Und wenn zusätzliches Personal, wo soll das her kommen? Und wer bezahlt?
Liest man genau, werden meckernde Zeitgenossen wie ich kritisieren, dass die selbstisolation von Risikogruppen befürwortet wird, damit sich eben nicht alle in Verantwortung begeben müssen. Die Last und auch irgendwo die Schuld für Infektionen, wenn’s doch passiert, wird auf die alten, kranken, schwachen verschoben. Hätten ja in ihrem Rapunzelturm bleiben können. Etliche jammerten, die armen Kinder, keine Schule, kein Spielplatz, kein kiffen auf dem Hinterhof. Aber mit den Großeltern kann man es machen? Ich finde es als Hausarzt jetzt schon schlimm, wie viele meiner alten Patienten weniger als 5 soziale Kontakte am Tag haben. Das nennt man häusliche Vereinsamung. Wenn das jetzt offene politische Forderung wird, dass du zuhause bleiben sollst, wenn du alt oder krank bist, wird manchem nur noch der Fernseher bleiben. Viele werden sich gar nicht mehr raus trauen, selbst zum spazieren gehen oder mal zum Doktor und der Apotheke. Schon gar nicht in den Kleingarten, wo es noch ein paar Meter weiter ist als zum Doktor. Es wird ihnen vorkommen, als wenn alles um sie herum gefährlich ist. Also noch gefährlicher als sonst. Schon jetzt merke ich bei den Patienten, dass sie mehr Ängste haben. Ich denke, dass dann die suizidrate unter alten steigen wird. Ist das Würde im Alter? Und was glaubt man, wieviel freie Hausbesuchskapazitäten in manchen Regionen noch sind? Dann können wir ne Sprechstunde schließen oder zwei. Nützt auch keinem was.
… und dann der Zeitpunkt der Veröffentlichung. Musste es heute sein? Ich meine, wir müssen jetzt erstmal alles wieder in den Griff bekommen. Vor 8 Wochen hätte es vor Beginn der Urlaubsreisen Sinn gemacht, sowas zu diskutieren. Es würde Sinn machen, es in 3-4 Wochen zu diskutieren wenn die Zahlen hoffentlich wieder unter 5000 sind. Aber jetzt?! Was sollte das? Es trägt nur dazu bei, dass sowohl die Bevölkerung als auch die Ärzteschaft eine Spaltung erlebt, statt sich zu einen im gemeinsamen Kampf um Menschenleben. Mit Sicherheit hat man heute mehr Publikum als sonst, weil heute Entscheidungen fielen. Wenn das das Ziel war, ist es wie bei den Kids auf youtube… Forderungen stellen ist nicht gleichzusetzen mit Lösungen anbieten. Gelöst hat dieses Papier gar nichts, es trägt am heutigen Tag zur Verunsicherung der Bevölkerung bei. Es sät Zweifel und Misstrauen, wo wir Einheit brauchen. Aber da müsste man eben dazu übergehen, Dinge nicht über die Presse und Medien zu diskutieren wie C-Promis aus dem Dschungelcamp sondern wie erwachsene Menschen und Ärzte / Politiker auf Augenhöhe und gemeinsam mit allen, auch Physikern, Mathematikern, Soziologen, Pflegekräften etc.
Herr Prof Streeck, einer der drei Autoren, sorgt bei mir immer für große Abwehr, egal was er sagt. Zum einen wie gesagt unterscheidet sich sein Portfolio an Papers in Fachjournalen deutlich von denen anderer. Zum anderen frage ich mich, warum jemand wie er sich derart in die Medien drängt. Was soll das? Es ist gefährlich, zu glauben, man weiß viel und tut es nicht, dabei aber laut herumzuschreien, dass alle glauben, na wenn er laut ist, wird es schon stimmen. Seine Heinsberg-Studie wurde vom Fachpublikum stark diskutiert, da die wissenschaftlichen Methoden nicht die besten waren. Und im Gegensatz zu allen anderen ließ er sich bzw das ganze Vorhaben von einer PR Agentur namens Storymachine unterstützen. Nomen est Omen… Wie das Blog medwatch berichtet, ist einer der Mitbegründer der frühere Chefredakteur der BILD Zeitung Kai Diekmann. Selbiger war früher im kritischen Bildblog.de sehr oft Thema. Wenn man nach der PR Agentur im Netz sucht, taucht außerdem der Name Philipp Jessen auf. Laut seinem derzeitigen Profil bei LinkedIn beschäftigt gewesen bei BILD, Bravo, Gala und Stern. Kann jetzt jeder selber überlegen, für wie seriös er diese Zeitschriften hält.
Was die mediale Präsenz des Herrn Streeck angeht… er scheint ja durchaus gute Kontakte zu Journalisten zu haben… jedenfalls gewinnt man irgendwie den Eindruck. Und bei mir ist der Eindruck einstanden, man versucht ihn zielgenau zu positionieren, zu einem Meinungsmacher zu machen. Macht zum Beispiel die Pharmaindustrie zum Vergleich genannt auch gerne. Einen regional angesehenen Arzt zu Vorträgen einladen, die werden durchaus neutral gehalten, gibt ja sonst vielleicht Ärger, und mit dem guten Ruf des Kollegen ganz unscheinbar mitschwingen, und systematisch hebt sich das Bild vom Sponsor bei den Ärzten der Region. Ein durchaus erfolgreiches Marketing für einige Unternehmen. Und mit Herrn Streeck, dessen Ego sich von den Medien wohl sehr angezogen zu fühlen scheint, hätte man doch jemanden, den man zu einem Multiplikator für Meinungen machen und aufbauen könnte. Da darf man ja durchaus polarisieren. Meinungen, die der PR Agentur entgegen kommen könnten. Und wenn ich überlege, dass die ehemaligen Arbeitgeber der PR Agentur verbundenen Herren ziemlich viele Anzeigenkunden aus der Wirtschaft haben, ziemlich gut bekannt sein dürften mit Politik und Wirtschaft durch ihre Vita, etc., dann bekommt die Tatsache, dass ein Virologe mit dem genannten Background sich so in die Medien begibt, ständig Äußerungen tätigt, die der Wirtschaft gefallen, den Gegnern der Maßnahmen auch, den intubierenden Anästhesisten und Gesundheitsämtern weniger, irgendwie einen merkwürdigen Touch.
Und genauso kritisiere ich die als Unterstützer aufgeführten Fachgesellschaften. Wie kann man sich so unkritisch an ein Positionspapier hängen? Wie wäre es mal mit Faktencheck im Vorfeld gewesen? Ihr seid alles eingetragene Vereine, hat mal einer vorher die Mitglieder zu ihrer Meinung gefragt? Auffällig ist für mich, dass Gesellschaften wie Labormedizin, Gynäkologie etc. da stehen. Und die Berufsverbände der niedergelassenen Ärzte. Zufällig ziemlich davon abhängig, welche Entscheidungen in der KBV fallen… Anästhesisten und Internisten aus der Klinik wie die DGIM stehen nicht drauf. Mal ehrlich, wieviel Covid-19 Patienten hat ein Gynäkologe betreut? Beatmet? Weaning gemacht? In der Reha gehabt?
Wie gut die aktuellen Maßnahmen ausreichen sehen wir ja. Wir sind etwa 3-4 Wochen hinter Belgien und Frankreich zurück. Wenn wir so weiter machen, dann stehen viele Familien statt unter der Weihnachtsbaum beim Bestatter und suchen Urnen aus. Dann fährt nicht DHL herum und wird heiß erwartet sondern wie Italien und New York die Leichenwagen. Da ja viele von den Epidemietreibern Eigenverantwortung mit einem Freibrief für Leichtsinn verwechseln sind wir inzwischen bei 15000 Infektionen pro Tag. Eigenverantwortlich zu sein heißt Freiheiten haben, aber sie mit Vernunft nutzen. Das passt aber nicht, wenn man denkt, es guckt keiner hin, dann ist auch kein Virus da. Es ist an der Zeit, dass auch die Optimisten begreifen, dass der Weg der Vernunft und der Eigenverantwortung gescheitert ist. So wie in den anderen Ländern.
Ich mache alle Kollegen, die jetzt noch glauben, es kann alles so weitergehen wie bisher, zu Mitverantwortlichen für all die Toten und Kranken mit Folgeschäden, die jetzt kommen. Heute haben 86 Familien in diesem Land jemanden verloren, der noch hätte leben können, wenn alle in diesem Land für ihr handeln Verantwortung getragen hätten. Bei der Grippewelle 17/18 gab es ca 1600 Tote mit nachgewiesener Laborbestätigter Infektion. Bei COVID sind es jetzt schon über 10000. Und im übrigen finde ich, dass wir all die Jahre vorher gerade Risikogruppen gegenüber viel zu fahrlässig mit Influenza umgegangen sind.
Außerdem macht ihr unsere eigenen Kollegen in den Hausarztpraxen und gerade in den Kliniken zum Kanonenfutter der Epidemie. In meiner Stadt haben seit der ersten Welle in einer Klinik die Hälfte der Ärzte und Schwestern gekündigt auf der ITS. Die hatten keine Lust mehr darauf, das kleinste Glied in der Nahrungskette zu sein. Es kann nur noch die Hälfte der Betten bewirtschaftet werden. Und in anderen Städten wird es nicht anders aussehen. Wenn ich das schon höre… es sind so und so viel Betten frei… wir haben so und so viel Beatmungsgeräte… kann ja noch viel doller kommen, noch ist ja Luft nach oben… noch können wir es drauf ankommen lassen… bloß keine Restaurants schließen, sonst muss man selbst kochen, bloß auf keine Party oder Feier verzichten, das Leben ist ja schon hart genug… hart? Hart?! So hart, wie nacheinander COVID Patienten zu intubieren und festzustellen, dass die freien ITS Betten längst in einigen Landkreisen nur noch Makulatur sind und jemand anderen sterben zu lassen, weil man kein freies Bett mehr hat und er den Transport woanders hin nicht mehr schafft? Und nach 12 Stunden mit Muskelkrämpfen nach Hause zu gehen oder auf dem Klinikparkplatz im Auto einzuschlafen? Mal ehrlich: Wieso geht ihr mit unseren eigenen Leuten so um? Schämt euch.
Hello lieber Assistenzarzt. Dürfen wir diesen Bericht als Gastkommentar bei uns (www.mittellaendische.ch) bringen?
Zitieren geht in Ordnung.
Danke, daß Sie das so präzise auf den Punkt gebracht haben.
Gestern bei Maybrit Illner … Gassen ging baden … in der Talkshow:
„Brinkmann saß Gassen gegenüber und nutzte die Gelegenheit für ein paar direkte Fragen ohne Bande.
„Es gibt nur blöde Wege aus dieser Pandemie“, sagte sie. Wie aber mit Gassens Vorschlägen das exponentielle Wachstum gebrochen werden solle, sehe sie nicht. Details seines Konzepts „würde ich wirklich jetzt gern mal erklärt bekommen“.
https://www.spiegel.de/kultur/tv/maybrit-illner-zum-shutdown-es-gibt-nur-bloede-wege-aus-dieser-pandemie-a-d15c83b0-7295-4a90-9775-18b1caf53248
Danke!