Tja, da war ich nun Bücher shoppen für den leider zurückliegenden Urlaub. Das ganze gestaltete sich schwierig. Ich bin wählerisch. Doch was sahen meine müden Augen? Martin Kleen hatte einen neuen Krimi herausgebracht. Nachdem ich Anästhesie gelesen hatte, scheute ich davor zurück, „10 Stunden“ zu lesen, weil mir die Story in der Kurzzusammenfassung des Verlags doch etwas… realitätsfern schien. Auch die „Superherta“ hab ich nicht gelesen. Ich wollte einfach einen zweiten Krimi, der sich so real und authentisch liest, wie „Anästhesie“. Dann sah ich „Psychiatrie“ und mit einigen Klicks landete das Buch in meinem Warenkorb und eine Woche später endlich bei mir.
Was soll ich sagen?! Ich hatte meinen Krimi, den ich wollte. Japp. So real, dass einem die Haare zu Berge stehen. Ein Chef, dessen Anweisungen oftmals seltsam sind und der exzellente Kontakte zur Pharmaindustrie hat. Ein Held, der so richtig keiner ist, weil er als Ausgleich zu seiner engagierten Psychiater-Tätigkeiten an der Uniklinik an keiner hübschen Frau vorbeikommt und sein Junggesellenleben genießt. Bis… ja, bis eines Tages was daneben geht bei dem Studienmedikament, das so hochgelobt wird und von dem sich der Hersteller ungeahnte Gewinne erhofft. Zwei Selbstmorde, die selbst dem gestandenen Psychiater Wolf Schauer über den Rücken jagen. Und beide hängen mit dem Medikament zusammen. Oder nicht? Da Wolf seine Zweifel nicht lassen kann und auch den Mund nicht halten will, handelt er sich zunächst Ärger mit seinem Chef ein. Als sei das nicht genug, sieht er sich plötzlich mit einer seiner Ex-Liebschaften konfrontiert, einer inzwischen Fenta-süchtigen Anästhesistin, die im Entzug von ihrem Sohn auf seine Station geschleppt wird. Vor 15 Jahren sah er sie das letzte Mal, 15 Jahre alt ist auch ihr Sohn. Wolf kann rechnen und lernt von nun an kennen, wie es ist Verantwortung für jemanden zu übernehmen. Das erweist sich ziemlich schwierig, vor allem wenn merkwürdige Dinge passieren, seltsame Typen auftauchen und so ziemlich alles daneben läuft. Stück für Stück bröckelt die Welt um ihn herum und von Tag zu Tag und mit jeder Äußerung befindet er sich mehr in Gefahr. Wenn es da nicht diesen cleveren Jungen gäbe, der ihm so ähnlich sieht…
Man muss sich echt zwingen, das Buch aus der Hand zu legen, um nicht die halbe Nacht zu lesen. Es wirkt so verdammt real mit diesem Pharmakonzern, dessen Einfluss bis in die Klinik reicht und der keine Skrupel kennt, wenn es um das Geschäft geht. Kleen zeichnet seinen Helden markant, machohaft, teils naiv und im Laufe des Buches mehr und mehr liebenswert. Zum Finale läuft es auf den Kampf David gegen Goliath zu, dem Wolf nie alleine standgehalten hätte, so dass man sich fragt, wer da wen beschützt. Exzellent sind die medizinischen Details – der Autor ist Arzt in der Anästhesie und weiß wovon er schreibt – , was für alle Insider eine Wohltat ist – im Gegensatz zu dem Pseudomedizinkrimi-Zeug, was nur in den Bestsellerlisten kursiert, weil es mit der Angst der Menschen vor Themen der Zeit spielt (Biohazard, Bioterrorismus, Öko-Katastrophe, ausbrechende Viren etc) und in der Regel kaum die Realität in der Medizin widerspiegelt. Ich pfeife auf Ken Follett und wie sie alle heißen. Es gibt nur wenige Schwachstellen im Plot, die man aber verschmerzen kann. Es bleiben daher einige Fragen offen: Woher kennen sich Jasmin und Dorothea? Was passiert mit seinem Chef und welche Rolle spielt er im Netz des Pharmariesen und bei der Aquirierung neuer Mitarbeiter?
Alles in allem ein Krimi, dessen Story von vorn bis hinten so herrlich schön real ist und der dafür sorgt, dass man sich auf der Arbeit freut, dass man sich abends auf die Couch flegeln kann und weiterlesen, Figuren die menschlich und nicht übermenschlich sind, medizinische Details, die stimmen und kein falsches Bild im Leser entstehen lassen. Den Autor Martin Kleen sollte man sich merken, denn es wird Spaß machen, seine nächsten Bücher zu verfolgen und zu erleben, wie da ein richtig guter Krimiautor heranwächst. Als Leser bleibt zu hoffen, dass er nicht so viele Dienste machen muss und ihm Zeit bleibt neben dem Arztberuf zum Schreiben.
Martin Kleen
„Psychiatrie“
erschienen im Leda-Verlag im September 2007
ISBN 978-3934927926
8,90 Euro (D)
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