Herrenwitz und toxische Männlichkeit mit Doktortitel

8 03 2023

Natürlich ist mir klar, dass ich mit Beiträgen wie diesen bei vielen die Illusion vom TV-geprägten Bild des edlen Mannes im weißen Gewand in Zweifel ziehe. Aber dieses Bild existiert tatsächlich nur in den Fernsehserien. In jedem weißen, oder fast weißen, Arztkittel steckt ein Mensch, männlich, weiblich oder divers. Und der männliche Mensch ist auch nicht anders als Akademiker anderer Profession, egal ob Ingenieur, BWLer, Lehrer oder Handwerker, Musiker etc. Fragt man seine Kolleginnen. Ich persönlich habe in über zwei Jahrzehnten alle Arten von männlichen Kollegen kennengelernt: liebe und nette Familienmenschen, die man einfach nur mögen muss, völlig karriereorientierte Typen, die mit dem Job verheiratet waren und sich für nichts anderes interessierten, und leider auch genügend Kollegen, die sich aus diversen Gründen ihren Kolleginnen gegenüber nicht besonders nett verhielten.

Thema: Catcalling und vergleichbare Anmachen

Wer glaubt, dass Ärzte das nicht machen, vergesst es. Stellt Euch vor, ihr seid Famulantin und euer Stationsarzt ist total nett, verheiratet, 2 Kinder, und dann kommt irgendwann aus dem Nichts so ein Spruch wie „na wenn ich noch jünger wäre, würde ich dich auch nicht von der Bettkante stoßen.“ oder „bei deinem Arsch solltest du dich nicht so viel bücken, sonst kann ich mich nicht konzentrieren“ oder „hast du nen Freund?“. Seid ihr drin in der Visualisierung der Situation? Mitten in der Stationsvisite oder im Arztzimmer? Ja? Dann versetzt Euch jetzt mal in die Emotion der Studentin im 4. Studienjahr, Anfang 20, die das von ihrem Stationsarzt, der ihr die Famulatur bescheinigen soll und über ihre täglichen Aufgaben entscheidet, Ende 30 zu hören bekommt. Wie reagiert man darauf? Schlagfertig? Liegt nicht jedem. Schweigen? Ihn darauf hinweisen, dass das gerade etwas zu weit ging? Hoffen, dass eine Ärztin das gehört hat und den Kollegen mal nett drauf hinweist? Mit welchem Gefühl geht sie nach Hause? Mit welchem Gefühl geht sie den nächsten Tag wieder hin? Ich lasse es mal so offen stehen…

Thema Herrenwitze

Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen über Jahre mit einem Kollegen zu arbeiten, der ein schier unerschöpflichen Vorrat an Herrenwitzen hatte. Leider brachte er sie irgendwann in Dauerschleife. Je schlechter seine Ehe wurde, desto mehr gab es davon zu hören. Vielleicht lag Ursache und Wirkung auch genau andersherum, wer weiß. Den Gipfel der Geschmacklosigkeit erreichte er gemeinsam mit zwei Vorgesetzten in einer Visite. Ich vertrat als Quotenfrau das weibliche Geschlecht mit Approbation. Es war außerdem noch eine junge Famulantin dabei, die gerade angefangen hatte. Nach einem Zoten-Warm Up während der Visite erreichte man den Höhepunkt vor einem Zimmer. Die Tür zum Zimmer der nächsten Patientin stand offen. Auf dem Flur saß ein neuer Patient. Wir standen um den Visitenwagen. Die Patientin war neu. Sie hatte eine schwere TumorOP im Gyn-Bereich in der Vorgeschichte. Es fiel der Satz „Naja, wie alt ist sie? Ach, da braucht sie das eh nicht mehr.“ Mein Puls ging hoch, ich schwieg, man korrigiert seinen Chef nicht ohne weiteres. Die Famulantin schaute verunsichert. Antwort meines geübten Kollegen „Ach, Chef, Sie wissen doch, auf alten Schiffen lernt man das Segeln!“ Eine Herrenrunde schüttete sich aus vor lachen. Vor offener Zimmertür, die Patientin hörte alles, unter Missachtung des Datenschutzes, vor einem neuen Patienten, vor einer jungen Frau Anfang 20. Nach dem Warm Up mit diversen Zoten in der Visite platzte mir der Kragen und ich schlug mit der flachen Hand auf den Visitenwagen. Ich sagte, das geht zu weit, die Tür steht offen, das ist respektlos und hier sitzen Patienten auf dem Flur und wir haben eine Studentin dabei, sowas gehört in die Eckkneipe, aber nicht in eine Chefarztvisite. Ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass die Patientin so gedemütigt wurde und alles hören konnte und niemand würde etwas sagen. Alles was mein Vorgesetzter fragte war, ob ich Feministin bin. Ich fragte, was es damit zu tun hat, ich habe einfach nichts übrig für Geschmacklosigkeiten gegenüber Patienten. Seine Nachbesprechung dazu diente wohl mehr dazu, sich zu versichern, dass es auf Station bleibt und nicht im Haus erzählt wird, oder hatte er wirklich ein schlechtes Gewissen? Keine Ahnung. Sollte sich einer der betreffenden hier wiedererkennen… ich empfehle zu schweigen und sich jede weitere Peinlichkeit der Offenbarung zu ersparen.

Natürlich ist dies exemplarisch herausgegriffen. Jede von Euch, die in Bereichen arbeitet, wo mehr Männer als Frauen sind, wird das in dieser oder ähnlicher Form vielleicht erlebt haben. Bei einem Frauenüberschuss habe ich das tatsächlich so gut wie nie erlebt. Auch Blondinenwitze sind immer wieder gerne genommen, gerade gegenüber jungen Kolleginnen, wenn ihnen Missgeschicke unterlaufen. Klar, es klingt wie ein Scherz. Sicher, man kann es als solchen abtun. Aber wenn es immer wieder vorkommt, stellt sich die Frage, ob dem Kollegen schlicht das Repertoire zu klein geraten ist oder aber ob eine gewisse Gewohnheit oder auch ein Muster dahinter steckt.

Thema PDE-4-Hemmer-Muster

Und? Wer von euch hat es erlebt? Es kommt ein Vertreter auf Station, es gibt einen neuen PDE4-Hemmer, neue Abpackung, Dosierung oder was auch immer und es gibt ein Muster. Der Kollege nimmt sein Muster an sich. Und hält dann die Hand auf und kassiert euer Muster ein bzw. Bringt die herzerweichende Geschichte von einem Freund, der dringend Hilfe braucht. Ich habe es mal fertig gebracht, das Muster, für das ich unterschrieben habe, in mein Fach einzuschließen und für Patienten aufzuheben. Ich wurde dafür zuerst mit der netten Geschichte bearbeitet, dann aggressiv angemacht, ich sei doch in keiner Beziehung (wobei ich meinen Beziehungsstatus nie öffentlich diskutiert habe), dann wurde er laut, schließlich war er kurz vor dem Toben und beschimpfte mich als gierig und Zicke. Ich finde, auch ein Arzt kann zum Urologen gehen, wenn er Erektionsprobleme hat und hat nicht das Recht, die Herausgabe von Mustern zu erzwingen. Seine Ehe konnten die Dinger auch nicht retten oder vielleicht haben gerade sie zum Ende derselbigen geführt, keiner weiß es.

Thema Einschüchtern und Ausgrenzen

Körpersprache ist bei Männern und Frauen verschieden. Auch innerhalb der Männer als Gruppe ist jeder individuell zu sehen. Und doch gibt es Muster, die bestimmte Männer immer wieder abrufen. Und sie tun es nicht nur zuhause, um sich in der Ehe durchzusetzen oder sonstwo, nein, sie tun es auf Station. Wer sich mit Körpersprache beschäftigt, kann so einiges beobachten. Ich habe mehrere Jahre in einem männlich dominierten Umfeld arbeiten müssen, teilweise als einzige Ärztin. Nicht leicht. Die Visiten zeigten oft ein eindeutiges Bild, insbesondere, wenn Kollegen anderer Fachrichtungen dabei waren. Selbst als Fachärztin wurde ich von vielen als „Beiwerk“ oder Sekretärin betrachtet, die die Akten tragen durfte. Das hab ich mir ziemlich schnell abgewöhnt. Zwischen nett und hilfsbereit bis zu ausnutzen ist ein schmaler Grat. Vor den Zimmern bildeten die Männer regelmäßig von ganz allein einen Kreis zum diskutieren. Ich stand mit der Stationsschwester als Frauen außerhalb. Man bezog uns schlichtweg nicht in die fachliche Diskussion ein. Und nein, ich habe nicht in einem Land gearbeitet, wo die Frau 5 Schritte nach dem Mann gehen muss. Mitten in Deutschland. Und wenn Ihr morgen Visite geht, dann beobachtet mal… Ich empfehle euch das Studium entsprechender Bücher zur Körpersprache, die es zur Genüge gibt…
Einer der Oberärzte hatte es am Wochenende immer drauf, bei der Visite die Frauen als Aktenträger zu benutzen. Irgendwann knallte er mir mal eine Kurve direkt vor den Brustkorb. An meine Brüste. Es tat weh, weil er Schwung hatte. Er merkte es glaube ich nicht mal mehr. Original Satz „Hier schreiben!“
Was auch oft gemacht wird, um seinen Willen durchzusetzen ist, dass die männlichen Kollegen lauter werden, gerade Vorgesetzte können das gut. Muss das sein? Wenn’s vernünftig ist, wo ist da die Diskussion? Lauter soll aber einschüchtern, Dominanz zeigen. Manchmal erinnerte mich alles an unsere nächsten Verwandten im Regenwald von Zentralafrika… Und ich meine nicht Homo sapiens. Auch Dominanzgesten kommen immer gut, sich groß machen, breit machen. Das führt dazu, das unbewußt bei vermeintlich schwächeren ein Rückzug und Anerkennen der Dominanz desjenigen erfolgt, was wiederum die Aufteilung der Arbeiten und die gesamte Kommunikation miteinander beeinflusst. Bei Kolleginnen habe ich sowas nie beobachtet. Die Spitze solcher Dominanzspiele war für mich, dass ein Assistenzarzt kurz vor der Facharztprüfung, der seinen Willen nicht bekam, mich als Prellbock nutzen wollte, und mich im Stationszimmer anschrie. Es hat an der Entscheidung unseres Vorgesetzten nichts geändert, aber an unserem Verhältnis zueinander nachhaltig. Ich fühlte mich als Prellbock missbraucht und als Frau diskriminiert.
Zum Ausgrenzen gehört für mich auch, dass oft männliche Assistenzärzte bevorzugt werden, wenn es um Eingriffe geht, während Frauen die Stationsarbeit mit Aufnahmen und Briefen aufgehalst wird, am besten verbunden mit einem Satz wie „Du kannst das so gut.“ Ein Kompliment ist dann ein Kompliment, wenn ernst gemeint ist und nicht zum erreichen eines Zweckes wie Abwälzen von Arbeit benutzt wird, dann ist es Manipulation.
Erstaunlich finde ich, dass in vielen Bereichen zuerst an männliche Kollegen herangetreten wird, wenn es um die Vergabe von Vorträgen geht, mit denen ein zusätzlicher Verdienst verbunden ist. Anders sieht es aus mit internen Fortbildungen, für die man Zeit aufwenden muss, aber weder Anerkennung externer Kollegen oder finanzieller Gewinn steht.

Ich möchte Euch einen Anstoß geben, darüber nachzudenken, wie ihr in Eurem Bereich arbeitet. Denkt mal darüber nach, wenn ihr nach Hause geht und der Tag war ok, aber ihr fühlt euch irgendwie schlecht und wisst nicht warum oder wenn sich alles irgendwie ungerecht anfühlt – vielleicht ist es das ja? Stellt euch einfach mal die Frage, ob Chancengleichheit wirklich da ist. Ich habe sie mir oft gestellt, aber die Antwort, die fand ich nicht schön.





Gruß zum Frauentag 2023

7 03 2023

Liebe Leser, Liebe Kolleginnen,

Ein herzlicher Gruß zum Frauentag an Euch alle. In meinem Bundesland – das viele der langjährigen Leser längst kennen bzw. erahnen – ist der Frauentag ein Feiertag. Und dieser gibt mir die Chance zu bloggen. Ich bin von einer regelmäßigen Bloggerin zu einer selten-Bloggerin geworden, was meinen beruflichen Aufgaben geschuldet ist. Doch dieses Blog wollte ich nicht aufgeben. Der geneigte Leser kann erkennen, dass es mich bereits einen großen Teil meiner beruflichen Laufbahn begleitet. Gestartet bin ich als Assistenzarzt, derzeit unterwegs als Hausarzt. Da das Blog aber etabliert ist, gibt es für mich keinen Grund, den Namen zu wechseln oder Irritationen mit anderen bloggenden Kollegen zu erzeugen. Und für alle, die es über die Jahre noch nicht verstanden haben: Assistenzarzt ist weiblich. Da ich mich aber, dank meiner modernen Erziehung, als gleichwertig mit männlichen Kollegen betrachte, fühle ich mich bei „die Ärzte“ genauso angesprochen wie alle männlichen Kollegen. Also war es mir völlig egal, ob Assistenzarzt oder Assistenzärztin. Ganz egal dann doch nicht, denn in den online-Suchmaschinen werden Umlaute häufig benachteiligt – also wurde es der Assistenzarzt im Titel. Und nein, mich stört es nicht als Frau. Für alle gekränkten männlichen Egos kann ich psychotherapeutische Sitzungen empfehlen. Und damit kommen wir zu meinem aktuellen Anliegen: Ich warte seit Jahren darauf, dass auch in der Medizin mal das Thema MeToo und das Verhalten ärztlicher Kollegen ihren Kolleginnen gegenüber thematisiert wird. Jegliche Versuche werden immer im Keim erstickt oder scheitern, weil die Angst größer ist, als das Bedürfnis, das Problem auf den Tisch zu bringen. Der Ärztinnenbund hatte vor einiger Zeit mal eine Kampagne begonnen, aber was nützt das, wenn sich keine Ärztekammer, keine KV, keine Gewerkschaft dahinter stellt und mitmacht? Nichts. Ich habe keine Lust mehr zu Schweigen. Zu schweigen über toxische Männlichkeit, die im Stationsbetrieb ausgelebt wird. Über Sätze, die nett klingen, aber diskriminierend sind, über die Benachteiligung von Frauen in Teilzeit, wenn es um Oberarztstellen geht, über Herrenwitze an der falschen Stelle, und ja auch über übergriffige Kollegen. Wir arbeiten in einem System von Abhängigkeiten, Vorgesetzten, die auch in der Ärztekammer leitende Stellen besetzen und extrem gut vernetzt sind, von Weiterbildungsordnungen, die dafür sorgen, dass Zeugnisse immer noch vom Willen und Wohlgefallen der Weiterbildungsbefugten abhängen, Approbationsordnungen, die nicht ausschließen, dass der Ausbilder auch der Prüfer im Staatsexamen ist. All dies macht unser Ausbildungssystem vom Studium über die Facharztprüfung bis hin zu Zusatzweiterbildungen anfällig für Dinge, die keiner gerne sagt, weil sie mit Druck ausüben, Machtspielen, Dulden und Ertragen und vor allem Schweigen zu tun haben. Und so lange das so ist, so lange wird sich nichts ändern. Und so lange muss ich allen meinen Famulantinnen beibringen: Halt dich von XYZ fern, geh nicht in die Abteilung ABC wenn du es dir aussuchen kannst, lass dich niemals erpressen sondern geh einfach woanders hin, die Stellenlage lässt es endlich zu. Keine von uns hat Lust, weiter zu schweigen, aber viele können nicht reden, weil es sie die Karriere kosten würde in unserem System. Und deswegen muss sich etwas ändern.

Ich danke an dieser Stelle dem Thieme-Verlag und dem eRef-Bereich. Wie ich seit einiger Zeit feststelle, muss es eine Verlinkung zu den Facharztprüfungsfragen geben. Erstaunlich, dass ein seriöses Portal ungefragt an ein Blog verlinkt, aber das nur nebenbei. Ich gehe davon aus, dass die Hälfte der Besucher von dort weiblich ist und damit auch auf dieses Thema stößt, also mache ich mir keine Sorgen, dass ich dafür Leser:innen finde…





Wir sind Doc Caro!

13 10 2020

Gelesen und gedacht: „Endlich jemand, der Mal klare Worte findet!“

Doc Caro findet klare Worte

Wir alle sind Doc Caro! Und WIR Ärzte sind diejenigen, die Euer Leben retten. Wir haben Familien, Kinder, Eltern, Partner, die zu Risikogruppen gehören oder gehören selbst einer an. Und trotzdem stehen wir in Vollschutz stundenlang in Kliniken und versorgen Patienten oder streichen im Akkord in Hausarztpraxen Verdachtsfälle ab, weil die Gesundheitsämter ihre Kernkompetenz inzwischen auf das zählen verlagert haben.


Hat irgendein Maskenverweigerer mal überlegt, wie das ist, während Coronazeiten in einer Notaufnahme zu arbeiten? Ich meine, da jammert so ein Maskenverweigerer, weil er 20 min beim Einkaufen einen Mund-Nasen-Schutz tragen soll, aber vergleicht man das mit der täglichen Arbeit von Ärzten und Pflegekräften ist so jemand ein Jammerlappen… wenn man mir das Wortspiel gestattet.

Hat mal irgendein Anhänger von Verschwörungstheorien überlegt, wer ihn im Zweifelsfall, also angenommen, das mit Corona ist echt und bei den Millionen Patienten wohl allmählich kein weltweiter Fake mehr, also wer ihm Sauerstoff anhängt oder intubiert? Machen das die Gurus der Verschwörungstheorien? Legen die Hand auf und dann ist alles gut?

Hat mal irgendein Systemkritiker überlegt, was ihn jetzt eigentlich wirklich stört? Wäre da die letzte Landtagswahl oder Bundestagswahl nicht eine bessere Gelegenheit gewesen? Und was stört euch? Dass ihr wenigstens alle eine Krankenkasse habt? Also wenn euch das nicht passt, dann geht doch nach USA, da wo ein möhrenfarbener blonder Mann gerade Obama-Care zerschlägt und ein guter Teil der Bevölkerung eine intensivmedizinische Behandlung sich nicht wirklich leisten kann? Oder nach Afrika, wo die Angehörigen Bettwäsche, Essen und Pflege übernehmen, also im Hospital wohlgemerkt? Stört euch, dass wir versuchen, Risikogruppen zu schützen, also alte, kranke und Menschen mit Handicaps oder eben gefühlt gesunde mit Risikofaktoren? Wollt ihr, dass wir sie sterben lassen? Survival of the fittest? Nachdem wir seit der Zeit der Aufklärung um humanistische Grundwerte kämpfen? Grundwerte wie Respekt vor älteren, Schutz von Hilfebedürftigen oder Hilfe für die Gemeinschaft? Die in unserer Verfassung oder in den Leitbüchern der großen Religionen stehen? Ich meine, früher sind solche Systemverächter irgendwo als Eremit auf einen Berg oder in einen Wald gezogen und lebten da für sich allein. Also sie nervten die Gesellschaft nicht mit Zweifel an lebenswichtigen Maßnahmen. Nehmt mal die Energie, die ihr da in Demos und Diskussionen reingesteckt habt, und stellt euch vor, ihr hättet mit der Energie geholfen, ein Leben zu retten.

Ein Leben retten… jemanden davor bewahren, dass dieser silberne Fasen reißt, der uns im Diesseits hält. Der Kampf, die Stunden harte Arbeit, die Besprechungen, das Abwägen für den Weg, den man geht, die plötzlichen Krisen, Reanimationen, Triage, wer das ITS Bett bekommt, die durchgeackerten Nächte… wir alle in der Branche kennen das…
Dieses Gefühl, wenn euch dankbare Augen ansehen, die ihre Kinder und Enkel aufwachsen sehen dürfen, die ihren Hochzeitstag erleben dürfen, die ihrer Frau einen Kuss geben können, die mit verweinten Augen, eingefallenen Wangen und abgehungert voll Sorge am Bett gesessen hat über Tage, Kinder, die ihrer Mutter keine Sekunde mehr von der Seite weichen wollen, weil sie endlich aus der Klinik zurück ist, … Kinder, die dachten, sie würden den nächsten Geburtstag trauern müssen, dieses lähmende Schock Gefühl, das sich um jede Faser des Körpers legt, erleben müssen und dann der Moment, wo sich das Blatt wendet und keiner sich traut, sich zu freuen, falls es doch zu früh ist, … Menschen, die in dem Moment begreifen, dass ihnen das wertvollste, das es überhaupt gibt, geschenkt wurde… habt ihr mal bei all eurem Meckern über Sicherheitsmaßnahmen, Mundschutz, und geplatztem Urlaub an etwas oder jemand anderen als euch gedacht? An diese Menschen, die ihr durch euren Leichtsinn oder eure Sturheit umbringt? Liebt ihr jemanden? Stellt euch vor, der wurde absichtlich infiziert, liegt beatmet auf Intensiv, ihr sitzt am Bett, 30 min pro Tag sind erlaubt, ihr wisst nicht, ob er noch da ist, wenn ihr morgen hin kommt… wie fühlt ihr euch da? Kann man in 30 min so viel Liebe geben, dass der Wille zum überleben reichen wird? Hört er mich? Was wird, wenn er es nicht schafft? Wie soll man die Kinder durchbekommen? Die Wohnung halten? Wird es jemals wieder eine Nacht geben, wo er neben mir im Bett schnarchen wird? Zu emotional die Fragen? Ja? Ist Realität. Die tägliche Konfrontation mit dem Existenziellen, mit Leid, Trauer, Hoffnung… Für all unsere Kollegen in den Kliniken. Die haben übrigens im Lockdown auch nicht gewußt, wohin mit den Kindern und waren trotzdem da, haben zum Teil wochenlang die eigenen Kinder nicht gesehen, weil sie sicherheitshalber bei den Großeltern waren, um sie nicht anzustecken, falls es den Arzt selbst erwischt. Also diese Kinder sahen ihre Mutti auch nicht, obwohl um sie herum alles verrückter wurde von Tag zu Tag.

Mal zusammengefasst: Maske verweigern, Scheinatteste ausstellen, Dauermeckern über Eindämmungsmaßnahmen, in Risikogebieten Urlaub machen, Beschränkungen ignorieren, Party machen, große Familienfeiern machen, auf Gottesdiensten bestehen und dabei Auflagen ignorieren, Arbeitsschutz nicht einhalten, … all das sorgt für Ansteigen der Fälle, volle Intensivstationen, sterbende Menschen. Jeder, der da mitmacht bzw bei den Schutzmaßnahmen bewusst nicht mitmacht, zeigt damit, dass sein eigener Egoismus und seine narzisstische Einstellung für ihn höher stehen, als der Schutz des Lebens und die Achtung vor anderen Menschen. Und damit sorgen genau diejenigen, die jetzt über die Einschränkungen schimpfen und dagegen sind, dafür dass die Zahlen steigen und noch strengere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Corona-Paradoxon?

Jedes Kind bekommt es hin: Maske hoch, Hände waschen und Abstand halten… es ist doch weiß Gott nicht so schwer…

Wir alle sind Doc Caro!





It’s Time For A Revolution…

14 01 2018

Ich erlebe derzeit durch Kollegenkinder vieles quasi noch einmal, was ich in meinem Leben längst hinter mir ließ. Zum Beispiel Sportunterricht.
Bevor ihr weiterlest: ich möchte niemandem zu nahe treten, der im Lehramt steht. Wer empfindlich für Kritik ist, liest besser nicht weiter.
Was war Sportunterricht früher in der DDR? Förderung der Sportskanonen, Regelmäßige Sichtung durch Jugendtrainer, auslachen und (wie man heute sagt) dissen durch den Lehrer oder auch gerne mal der Lächerlichkeit preisgeben. Gelogen? Nee, eigene Erfahrung. Ich war eins von den Looserkindern. Ich beherrschte nur eins gut: alles mit Bällen und werfen, besser als die meisten Jungs. Was machten wir? Leichtathletik und Geräteturnen. Wie lief Leichtathletik ab? 30 Kinder warteten am Anlauf für die weitsprunggrube und kamen genau 2x zum Springen in der ganzen Stunde, der zweite Sprung war dann die Note. Versaut? Pech gehabt. 60 oder 100 m Lauf das gleiche. Wenn die Lehrer im Hochsommer bei 30 grad keinen Bock hatten, dann ließen sie uns mittags um zwei in der größten Hitze 1000 m Lauf machen. Wenn in der Turnhalle 3 Klassen waren, weil es so geplant war, dann musste eine rausgehen. Im Regen. Oder bei Frost. Egal. Gelobt sei was hart macht. Geräteturnen habe ich auch noch böse Erinnerungen… ein Lehrer kann nicht überall sein und sicherungsstellung machen. Es machten Kinder gleichen Alters aus der Klasse. Ja es gab Unfälle und Verletzungen.
Wie lief Sport nach der Wende ab? Genauso. Es hatte sich nichts geändert. Ich erinnere mich an zwei engagierte Lehrerinnen, eine hatte ich in der zweiten, die an mich glaubte und plötzlich hatte das Looserkind ein Sportabzeichen geschafft und das ohne Probleme. Leider wurde sie schwanger. Im nächsten Jahr hatte ich wieder jemanden, der mich auslachte. Die andere Lehrerin begleitete mich in manchen Klassenstufen auf dem Gymnasium, leider nicht immer. Das war die einzige, die über den Tellerrand hinaussah. Die es als Auftrag verstand. Die sich hinstellte und was über Physiologie erzählte oder Hebel in den Gelenken. Oder auch die erste, die sich mit einem Haufen Teenager hinsetzte und statt Sport Aufklärungsunterricht machte am Lehrplan vorbei. Ansonsten endete vieles in Rumstehen, frieren, Hitzekollaps diverser Jugendlicher in praller Sonne, kopfplatzwunden, Knochenbrüchen, Prellungen, auch ich musste was einstecken davon, und einer Notenbewertung, die ich ungerecht empfand. Beim Geräteturnen zum Beispiel. Zusammengefasst bleibt unterm Strich eine Menge Frustration und die Erkenntnis das Sport keinen Spaß macht.
So wie bei Hunderttausenden anderen Menschen in diesem Kand auch. Die AG Sport der DDG sagte auf einem Kongress mal, dass dies die Grundlage ist, warum man viele Menschen ihr Leben lang nicht mehr für Sport begeistern kann – diese frühen und tief sitzenden frustrationserlebnisse.
Als ich hörte, wie der Sportunterricht heute abläuft – ungefähr 20 Jahre später – stellte ich fest: alles beim Alten. Nix ist anders. Was ist das Resultat? Generationen, mit Hunderttausenden Menschen, die keine Freude am Sport empfinden können. Generationen, die nicht wissen was rückengerechtes Verhalten ist, die keine Ahnung von gesunder Ernährung haben und Teenager, die immer noch darauf angewiesen sind, dass aufklärungsunterricht etc. von Vereinen ehrenamtlich gemacht wird an Schulen wie z.B. Projekten von Medizinstudenten (an meiner Uni hieß es „Mit Sicherheit Verliebt“.) und wir haben Millionen im Land, die sich nicht trauen erste Hilfe zu leisten zum Beispiel bei Sportunfällen, weil sie einmalig in ihrem Leben einen Nachmittag für den Führerschein abgesessen haben und das war es.
Wozu also diesen falschen Weg weitergehen? Es ist Zeit für eine Revolution. Lasst uns diesen unsinnigen Sportunterricht in der herkömmlichen Form abschaffen, denn er bringt nichts für die Kinder und Jugendlichen. Und was schlägt Assistenzarzt stattdessen vor? Einen Sport- und Gesundheitsunterricht. Inhalte: Rückenschule und zwar jede Woche mit 30 min. Würde uns langfristig Milliarden im Gesundheitswesen sparen. Gesunde Ernährung mit Kochen, erklärt von Profis, die für Kinder ausgebildet sind. Gesundheitslehre mit Erste Hilfe Kurs in der 8. Klasse parallel zum Biounterricht und Aufklärungsunterricht beginnend ab der ersten Klasse, um Themen wie Sexuelle Identität, Respekt vor dem anderen, Missbrauchsprävention etc. von Anfang an altersgerecht zu vermitteln. Und Sport mit der Möglichkeit etliche verschiedene Sportarten auszuprobieren und dem Ziel Kindern Spaß an der Bewegung zu vermitteln, Teamfähigkeit aufzubauen, Regeln einzuhalten und sich darauf zu freuen, etwas zu tun, was man kann und das Selbstbewusstsein zu stärken, Selbstwirksamkeit zu erfahren und zu erleben, wie gut es tut, aktiv zu sein. Das geht aber nicht mit Noten für etwas, das man einen Tag im Jahr zweimal in 45 min macht und nicht mal eine Anleitung bekommt.

Was brauchen wir dafür? Sportlehrer, die auch rückenschule beherrschen, statt nur Zeiten stoppen oder die Sprunglatte rauflegen. Ernährungsberater, Rettungsdienstler und Ärzte, die an Schulen Unterricht geben dürfen, Profis, die Aufklärungsunterricht gestalten. Es funktioniert nur, wenn der Staat bzw. die Länder bereit sind, in die Zukunft zu investieren und Geld auszugeben, damit wir später im Gesundheitswesen Milliarden einsparen können und wenn Lehrer und Gesetzgeber bereit sind, so einen Weg mitzugehen und niemand schreit, weil er glaubt, es wird an seinem Stuhl gesägt. Das Leben ist nicht so wie der Sportunterricht. Hat mal jemand die Jugendlichen in der Praxis gesehen? Wenn sie nicht gerade im Sportverein trainieren (und oftmals selbst dann) haben sie keine vernünftige Haltemuskulatur mehr, sie wissen kaum etwas über erste Hilfe im Notfall oder gesunde Ernährung. Sie wirken hilflos bei diesen Themen, wenn sie mit Rückenschmerzen kommen oder übergewichtig sind oder Eisenmangel haben, weil Veggie hip ist, aber sie keine Ahnung von Hintergrundwissen haben. Es ist nicht so, dass es sie nicht interessiert, sie hatten nur niemanden der ihnen sowas erklärt. Sollte die Schule nicht eigentlich fit für das Leben machen? Die Dinosaurier hat die Evolution aussterben lassen, weil es bessere Modelle gibt, beim Sportunterricht sollte das gleiche passieren. It’s Time For A Revolution…





Moderne (Buch-)Zeiten

29 09 2015

Assistenzarzt war neulich zur Fortbildung in der großen Stadt. Und weil dort ein großer Buchladen mit Fachbüchern immer schon war, dachte Assistenzarzt: gehen wir mal hin nach der Veranstaltung und gucken mal alle Bücher durch, so wie früher! Das waren Zeiten, wo man alle Bücher live vergleichen konnte. Ein Paradies…
Gesagt, getan. Aber die Schwierigkeiten fingen schon an, als Assistenzarzt die große Medizinbuchabteilung suchte… da wo sie früher war, da war sie nicht. Also weiter gesucht… ganz hinten, hinter all den Kalendern, Geschenken, Weltbessermachen-Büchern und so da stand oben dran „Medizin“. Die einst so 18 m Gesamtlänge Medizinbücher für alle „Altersgruppen“ war zusammengeschrumpft auf 4 m. Innere Medizin eine halbe Regalreihe. „Herold“, das Standardbuch, nicht vorhanden. Facharztprüfungsbücher, nicht vorhanden. Eigentlich standen da nur ein paar Bücher, mit denen kaum jemand arbeitet, zu alt, zu unpraktisch. Da kam dann noch ein Kollege vorbei. Der traute sich, die Verkäuferin zu fragen, wo all die Bücher geblieben sind. Ob die Studenten denn nicht bald kämen, weil doch das Semester losgeht und die brauchen die Bücher doch gleich und sofort. Und ob man nicht mal hier und mal da schmökern kann, um sich eines mitzunehmen. Nein, war die Antwort. Die Studenten würden alle online bestellen und die meisten Ärzte auch. Oder eben im Laden bei ihr bestellen. Hmmm, sagten da der Kollege und Assistenzarzt. Bestellen können wir auch… angucken und kaufen wollten wir. Und zwar mehr als eins. Aber wo kein Angebot, da kein Käufer. Naja, wir könnten doch bei ihr bestellen und dann in den Laden kommen und das abholen, dann kaufen wir ja auch im Laden. Macht wenig Sinn… extra nochmal in die große Stadt fahren… Benzingeld, Parkgebühren, Zeit… Soviel zur Förderung der lokalen Buchläden. Wenn keiner Bücher anbietet, kann keiner kaufen, dann bestellen die Leute mehr im Internet und es kommen noch weniger in den Laden. Klar, aus nem Medizinbuch kann man kein Event machen wie aus einem Krimi oder Kinderbuch. Heute Lesung „Herold, Innere Medizin“: „Ich beginne mit einem Auszug aus Kapitel 10… die Pneumonie. Definition…“ Kommt irgendwie uncool, wenn ich das als Dinosaurier mal so nennen darf. Früher haben die einen wahnsinnigen Umsatz mit uns Studenten gemacht dort. 100 mal das gleiche Buch verkauft. Heute kann man nicht mal mehr vor Ort reingucken, weil die Dauerbrenner nicht mal mehr im Laden sind. Selbst wenn man kaufen will, man kann es nicht mehr tun, weil sie einen nicht lassen. Naja, hab ich wenigstens nen Kalender für 2,99 mitgenommen statt Fachbuch für 79,99 und 59 Euro. Sie hätten es anders haben können. Sie wollten wohl nicht. Moderne Zeiten halt. Irgendwie anders.





Dauerthema Interessenkonflikt

28 10 2010

Ein Dauerbrenner-Thema in der Medizin ist das Wort „Interessenkonflikt“.

Für die Medizin-Laien: Ein Interessenkonflikt ist zum Beispiel, wenn der hochdotierte Professor XY, von Patienten geliebt, von seinen Lakaien Studienknechten   Mitarbeitern verehrt, in einem Journal – egal ob MMW, DMW, Internist, Orthopäde, Zentralblatt für sonstwas oder Lancet – einen tollen Artikel zur Therapie von der Krankheit ABC  veröffentlicht und darin zum Beispiel das Medikament Z richtig gut findet und das auch dort schreibt, das Medikament Q aber gar nicht erwähnt, obwohl es in der Therapie etabliert ist. Für alle, die sich bilden wollen mit so einem Artikel, ist klar: Medikament Z ist das, was die eigenen Patienten kriegen, denn es das richtige und beste, schließlich hat es ja die Arbeitsgruppe um Professor XY so gesagt. Unerwähnt oder vergessen bleibt manchmal, dass der Hersteller des Medikaments Z Professor XY kürzlich auf Vorträge in schicken Städten eingeladen hat mit Übernachtung, schönem Salär und Abendprogramm und ihm nebenbei für die Durchführung einer Studie eine Drittmittelstelle finanziert. Das ist dann ein Interessenkonflikt: Schreib was schickes, aber bevorteile niemanden vs. kriege Vorteile von jemandem über den du schreibst. Weil manchmal selbst der edelste Mediziner solchen Einflüssen gegenüber seine Objektivität höher einschätzt als sie tatsächlich ist, haben die Journals die Regel, dass derartige Interessenkonflikte veröffentlicht werden müssen, damit der bildungswillige Leser in seiner Meinungsbildung nicht entmündigt wird und sich seinen Reim drauf machen kann, wenn Medikament XY über den Klee gelobt wird.

Noch interessanter wird die Sachlage, wenn Professor XY in die Leitlinienkommission seiner Fachgesellschaft gewählt wird und plötzlich das Medikament Z viel weiter oben erscheint als vorher. Die Ärzte aus dem Fachgebiet lesen diese Leitlinien und sind verpflichtet danach zu handeln, ja man kann sogar Ärger kriegen, wenn man es nicht tut. Weil eben alle solche Leitlinien lesen, sollten sie (hach, der Konjunktiv) unabhängig sein, von unabhängigen Experten nach bestem Fachwissen zusammengestellt. Wann ist man unabhängig? Wenn man nichts mit der Pharmaindustrie zu tun hat. Und deswegen steht das auch immer da, so wie Professor XY selbstverständlich auch hinschreibt, er habe mit keinem Pharmariesen was zu tun. Aber Moment mal, er hat doch aber… das mit den Vorträgen und so… Richtig verstanden: Ein Interessenkonflikt.  Natürlich kann es sein, dass Medikament Z einfach überzeugend gut ist. Aber dann bräuchte Professor XY sich ja nicht zu schämen und könnte schreiben, dass er vom Hersteller des Medikaments Z Vortragshonorare und Studienzuwendungen erhält.

Für die Pharmaindustrie ist so jemand wie Professor XY hoch interessant. Er ist das, was in diesen Kreisen Multiplikator oder Meinungsbildner genannt wird. Das heißt, was er sagt, glauben viele, weil er seinen Ruf bisher noch nicht beschmutzt hat durch unethisches Verhalten oder es die Leute zumindest glauben, dass es so wäre. Da kann man ihn gut Vorträge und Studien machen lassen. Besonders gut funktioniert das natürlich, wenn er bei Publikationen zum Medikament Z plötzlich Amnesie bekommt, was die Vortragshonorare angeht oder die Studien, für deren Durchführung er finanzielle Unterstützung in gehobenem Rahmen erhält.  

Ein reales Beispiel hat strappato in seinem Blog erwähnt: Demenzleitlinien, oder lieber Leid-Linien?

Ich krieg grad sich aufdrängende Gedankenschübe mit Worten wie Avandia, Rimonabant oder alte Hochdruckleitlinien der WHO.

Es gibt übrigens auch ein sehr lesenswertes Buch zum Thema von Hans Weiss. Es heißt „Korrupte Medizin“.
Die abgeklärten Blogger, die hier ab und an mitlesen, wissen dass ich in manchen Punkten etwas naiv bin bzw. ich noch nicht einen generalisierten Hass auf die Medizinbranche entwickelt habe, wie andere. Ich versuche immer noch irgendwie ein anständiger Arzt zu werden, was auch immer das bedeutet. Ich habe auch keine Lust, mich meine noch verbliebenen Ideale, es werden immer weniger, durch noch mehr Befassen mit der Gesundheitswesen-Talfahrt, zu zerstören. Von manchen Schweinereien Pannen und Fehlentwicklungen möchte ich am besten gar nichts wissen, weil ich sonst wohl zu dem Schluss kommen würde, dass wir Ärzte zum großen Teil keine halben Götter sind sondern eher halbe Portionen aus der überheizten Kelleretage.  Aber als mir jemand dieses Buch empfahl, wollte ich eigentlich nur wissen, was denn nun eigentlich die Wahrheit ist und hatte mich getraut, die Frage öffentlich in einer Chefvisite zu stellen. Kann ich dem, was in den Leitlinien steht trauen oder dem was in den Journals steht? Wenn öfter mal Medikamente nach einigen Jahren vom Markt verschwinden, ist dann nicht irgendwas falsch gelaufen und wieso ging das eigentlich?

Nun ja, die Wahrheit gefunden habe ich nicht. Nur die Erkenntnis gewonnen, dass ich mich noch mehr frage als zuvor, wem und was ich denn nun trauen kann. Ich will nach bestem Wissen und Gewissen handeln für meine Patienten. Aber kann ich das, wenn ich mich an die Leitlinien halte tatsächlich? Sind Leitlinien das, wofür sie stehen?

Beispiel Diabetes: Avandia fliegt in den USA vom Markt demnächst. Und die europäische Zulassungsbehörde erwägt ähnliches. Der Hersteller hatte Amnesie was Studiendaten anging. Er wurde aufgrund einer völlig anderen Klage gezwungen, Studiendaten online zu stellen. Ein paar Leute sahen sich das an und begannen eine Studie zu machen, die bestätigte, dass eine drastisch höhere Rate an Herzinfarkten unter Avandia zu erwarten ist und auch eine auffällig höhere Raten an Herzinsuffizienzen. Das Thema ging durch die Fachpresse und durch die Ärzte-Postillen, durch den Spiegel und Focus und man sollte meinen, es hätte jeder mitbekommen. Wieso stellt sich dann die Deutsche Diabetes Gesellschaft hin und tönt, sie hält es immer noch für ein brauchbares Medikament? Wofür brauchbar frag ich mich – für „sozialverträgliches Frühableben“? Klar senkt es den Zucker, dann kann man zumindest sagen: „Schade, so früh ein Herzinfarkt, aber wenigstens hatte er einen Top-HbA1c!“   Wenn es in der Presse so gut wie überall zu lesen war, wieso gibt es Hausärzte die gerade jetzt noch Patienten neu darauf einstellen? Das bittere ist, das war kein Einzelfall in den letzten Wochen.

Ich will nicht behaupten, dass andere Antidiabetika besser sind, das kann ich schlichtweg nicht, weil ich mich frage, welche Überraschungen uns möglicherweise in den nächsten Jahren noch erwarten. Ich habe ein- oder zwei Kandidaten, die mein Misstrauen erwecken, weil sie so massiv beworben werden. Ich will aber niemanden zu unrecht unter einen Generalverdacht stellen, nur weil die PR-Abteilung des Herstellers MediaMarkt-Strategen blass aussehen lässt.

Nach der Lektüre des genannten Buches von Hans Weiss habe ich es selbst ausprobiert. Ich war bei Pharma-gesponsorten Veranstaltungen und auf Kongressen des gleichen Fachgebiets. Und siehe da, ich traf teils die gleichen Leute. Aber in den Vorträgen ohne Pharma-Sponsoring erwähnte keiner von denen, nicht mal in einer 6Punkte hohen Fußzeile, dass sie auch zum gleichen Thema auf Veranstaltungen der Pharmas sprachen. Eigentlich sagen die Richtlinien, dass derartige Interessenkonflikte anzugeben sind, egal ob auf einer Veranstaltung oder bei einer Publikation. Aber wenn man nicht mal Leitlinien mehr Glauben schenken kann, wieso sollte sich jemand noch an irgendwelche Richtlinien halten… Begriffen habe ich bei der Lektüre des Buches auch, wie die Summen in den Gehältertabellen in der Spalte Ärzte zustande kommen. Was da angegeben ist als Durchschnitt, kriegt bei uns nur ein leitender Oberarzt. Aber wenn man überlegt, dass es wahre Vortrags-Touristen gibt und die pro Vortrag kassieren (Meinungsbildner sind was wert…) und Leute, die gerne unheimlich viele Studien durchführen und sich damit brüsten, aber keinem sagen, wers bezahlt… dann ist mir klar, dass die die Statistik nach oben ziehen. Und den Ruf der Branche demolieren.

Es gibt eine Menge Anti-Ärzte oder Ärztehasser-Bücher auf dem Markt. Die meisten bedienen sich Pauschalisierungen und Klischees.  „Korrupte Medizin“ kann aber für sich in Anspruch nehmen, dass jede Behauptung durch Fakten belegt wird und bisher noch keiner der erwähnten Ärzte eine Klage eingereicht hat, was wohl dafür spricht, dass es stimmt, was da drinsteht.

Und ja, korumpieren lassen wir uns alle, bereits als Studenten, wenn wir den ersten Kugelschreiber von einem Pharmareferenten annehmen, der uns als Famulanten im Arztzimmer sitzen sieht. Untersuchungen zeigen, dass wir uns durch sowas tatsächlich beeinflussen lassen, selbst wenn wir felsenfest davon überzeugt sind, dass es nicht so ist. Ohne das jetzt als Rechtfertigung oder Rausreden verstanden zu wissen zu wollen, aber ich finde, zwischen Kulis, EKG-Linealen und Post-Its anzunehmen einerseits und gesponsorten Vorträgen als „Meinungsbildner“, Studienpublikation mit „Ghost-Statistikern“ die ihr Gehalt von der Industrie beziehen und Leitlinien schreiben ohne seine Vortragshonorare und ähnliches anzugeben andererseits liegt ein großer Unterschied. Das eine können wir bewußt als Werbung wahrnehmen, wie die von Autohäusern, Stromanbietern oder Versicherungen, das andere kann man nicht mal mehr mit Schleichwerbung vergleichen…

Tja, und als kleiner Arzt irgendwo in einer Klinik steckt man so drin in diesem großen Etwas und fragt sich so Fragen wie die, was denn nun eigentlich die Wahrheit ist und letztlich das beste für den Patienten… vielleicht ein Schamane, der macht wenigstens nur Werbung für seine Kräutertinkturen… oder Großmutters Hausrezept: An apple a day keeps the doctor away!*

*Erklärung des Autors: Im Sinne der Pflicht zur Offenlegung von Interessenskonflikten versichert der Autor nie in seinem Leben Honorare eines Apfelbauern oder anderen Apfelherstellers erhalten zu haben und die Äpfel aus seinem Garten nur für den Eigenbedarf zu nutzen.





Assistenzarzt bei den Gasmännern – Teil 5

7 02 2010

Heute: Kaffeekochen mit Assistenzarzt

Assistenzarzt hat viele Fehler. Zwei davon sind das Assistenzarzt kein Kaffee trinkt und das Nett-sein-Gen. Also das mit dem Kaffee weiß ich auch nicht wieso und das mit dem Nett-sein-Gen hab ich geerbt. An einem Morgen trafen sie beide aufeinander… Assistenzarzt wollte nett sein zu den Kollegen, weil das Azubi-Volk nicht da war und somit die einfachsten Funktionen sozialen Krankenhauszusammenlebens nicht funktionierten. Kaffee ist für Gasmänner sowas wie für Autos das Benzin oder … für Junkies die Drogen? Egal, welche Metapher man nimmt, es geht nicht ohne Kaffee. Bevor den Supermännern also der Treibstoff aus Krypton ausging, musste neuer her. Assistenzarzt hat sehr wohl schon mal Kaffee gekocht, kommt mit der Bedienung der technischen Kaffeekocheinheit super klar. Nach dem Wasser einfüllen bis zum letzten Strich kam der Griff zur Dose mit dem Kaffee. An diesem Tag war es eine Dose ohne Kaffee. Der war nämlich alle. Also zur Vorratskammer für Supermänner-Treibstoff gegangen und neuen geholt. Hübsche Verpackung. Harmonie stand drauf. Wow, das war doch genau das richtige. Assistenzarzt füllte Inhalt in Dose und wollte Verpackung ordnungsgemäß mülltrennen. Da fiel der Blick auf das Wort, das sich über dem assistenzärztlichen Daumen befand: entkoffeiniert. Ähhemm… Assistenzarzt hielt für Sekunden inne. *grübel* Das hieß doch ohne Power? Schmecken tuts doch gleich, oder?  Nur merken tun sie es nicht gleich… Aber der Tag dürfte dann sehr entspannt werden. Eine zweite Dose war nicht da, sonst hätte man ja umfüllen und anderen Treibstoff… nee, das ging nicht. Wo sollte Assistenzarzt jetzt mit dem falschen Kaffee hin?  Hmmm… dafür war es jetzt zu spät. Ooooops… *Blick nach links* *Blick nach rechts* Keiner da, der es gesehen hat. Die beste Möglichkeit, nicht aufzufallen, ist sich unauffällig zu verhalten. Also wir kochen jetzt erstmal Kaffee. Assistenzarzt schaufelte Kaffee in den Filter und ließ die Maschine schnorcheln. Dose weggestellt, leere Packung ganz tief im Müll vergraben. Nochmals umgesehen. Immer noch unbeobachtet.

Nach einigen Minuten war der Kaffee dann umfüllreif für die Thermoskanne und landete in selbiger auf dem Tisch. Psychologisch vorgebildet, was tägliche Gewohnheiten angeht, wurde der Griff der Kanne elegant zur Wand plaziert, dass erst die andere Kanne, die bereits fertig mit koffeiniertem Kaffee auf dem Tisch stand, getrunken würde, weil leichter zu erreichen. Der Kaffeekonsum an diesem Tag ließ zu wünschen übrig und lag eindeutig unter dem Supermänner-Durchschnitt. So war dann am Nachmittag auch erst die erste Kanne (mit Koffein) leer als eine wilde Meute von Gasmännern nach den Heldentaten im OP auf den Tisch zustürmte und gierig nach einem Feierabend-Kaffee lechzte. Voll des Lobes war man angesichts des Duftes, des Aromas,… Harmonie eben. Die Selbstbeherrschung bei Assistenzarzt war immer noch perfekt. Dennoch entschloss sich Assistenzarzt auch aufgrund mangelndem Arbeitsaufkommens zu einem kurzfristigen Ende seiner Anwesenheit pünktlich zu Dienstschluss um die kaffeetrinkende Nation alleine zu lassen. Die Vorstellung davon, wie man allmählich merken würde, dass der so duftende Kaffee irgendwie nicht so richtig fit macht, geisterte durch die Synapsen… aber dann wären die Supermänner alle zuhause… und müssten mit ihren Frauen klären, warum sie an diesem Tag keine Superman-Leistungen vollbrachten. Gespannt war Assistenzarzt nur auf die folgenden Tage, an denen sämtliche Kannen aus der Dose rekrutiert würden und somit frei jeden Koffeins wären… Also ich weiß nicht, wer die Dose aufgefüllt hat, ihr etwa?! *unschuldig die Schultern zuckend*





Irgendwo im Arztzimmer

30 10 2009

der andere: Scheißtag.

Assistenzarzt: Hmmm. Ich hab mir heute morgen als wir anfingen, vorgenommen, mich nicht zu ärgern.

der andere: Echt?

Assistenzarzt: Hmmm.

der andere: Und, wie lange hast durchgehalten?

Assistenzarzt: Bis um 7.50 Uhr.





Gewalt gegen Rettungskräfte

26 09 2009

Da hier auch viele Rettungsleutchen mitlesen verlinke ich mal auf einen Beitrag zu einer interessanten Studie aus der Fachhochschule Neubrandenburg, die auf dem Notärztetag MV vorgestellt wurde. Es geht um Gewalt gegen Rettungskräfte. Da es eine dpa-Meldung war, haben es viele Medien aufgenommen. Hier mal exemplarisch der Focus.

http://www.focus.de/panorama/welt/gesundheit-immer-haeufiger-gewalt-gegen-rettungskraefte_aid_439322.html

 

Fazit: wir brauchen Wege, um die Rettungskräfte (meiner Ansicht nach auch Personal in Notaufnahmen)  zu schulen, wie man mit bekloppten Besoffenen umgeht, um nicht selbst verletzt zu werden…





Spielt keiner mit?

14 07 2008

Hej Leute, wie ich vor einigen Tagen bereits aufrief, ist in Dr. Haus‘ Whiteboard wieder ein Fall, der sehr skuril scheint. Will denn keiner mitspielen? Dann seid ihr alle Spielverderber… ich find das da ganz lustig, aber es braucht mehr als einen, der Kommentare schreibt… Also an alle verfügbaren Docs, Studis und RDler: auf ins Dr. Haus Whiteboard und mitspielen sonst schieb ich hier noch richtig Frust!

http://klinikdirekt.de/blog/?p=19