Warum ich weniger Weihnachtskarten schreibe

14 12 2018

Bis vor 2 Jahren schrieb ich haufenweise Weihnachtskarten. Zum Teil auch selbst gebastelt, beklebt usw. Ich habe alle Verwandten damit bedacht und meine Freunde. Unsere Verwandtschaft bekam es meistens hin, wenigstens in der Woche nach Weihnachten noch Karten zu schicken (die „Gegenkarten“), meist diese kostenlosen Spendenbettel-Karten und die Briefmarken waren zusammengestückelt, bis die aktuelle Portohöhe erreicht wurde… Miss Marple würde sagen: sie sahen sich verpflichtet und kratzten unvorbereitet Reste zusammen. Jeder so wie er kann. Dachte ich.

Vor 1,5 Jahren starb mein Vater völlig unerwartet. Nach kurzer schwerer Krankheit wie es immer so schön heißt. Das Leben meiner Familie, unserer Familie, zerbrach unwiederbringlich innerhalb weniger Tage. Nichts ist mehr so wie es mal war. Mein Universum zerschmetterte in wenigen Tagen.
An einem Freitag rief ich alle Telefonnummern an, die ich in der Klinik dabei hatte. Nur die eine Tante ging ran.
„Papa liegt im Sterben. Er wird das Wochenende nicht schaffen. Könnt ihr kommen, bitte?!“
„Oh das passt mir jetzt aber gar nicht, wir müssen noch einkaufen und was vorbereiten. Ich ruf dich in zwei Stunden nochmal an.“
Sie gaben ihm Rescue-Medikamente, damit er seine Geschwister noch verabschieden konnte. Niemand rief an. Doch, ich am nächsten Tag.
„Die Therapie wird beendet. Er wird das Wochenende nicht schaffen. Könnt ihr kommen? Bitte…“
„Nee also das tut mir leid, wir haben das besprochen, wir werden nicht kommen. Wir haben uns entschieden, das Leben zu feiern, da passt das jetzt nicht so rein.“
„Und meine Cousinen? Meine andere Tante?“
„Nein. Kann ich sonst noch was für euch tun?“
„Nein…“
Nie in meinem Leben habe ich mich so hilflos und allein gefühlt wie an diesem Sonnabend morgen bei 3 Grad im Nieselregen vor der Klinik. Keines der Worte ist erfunden. Wie Peitschenhiebe haben sie sich in meine Erinnerung eingegraben. Ich habe überlegt ob ich die Namen nenne, ob ich mich hier oute, weil es mir eine Zeit lang ein Bedürfnis war, die Wahrheit über diese Bosheit in die Welt hinaus zu schreien. Meinen Hass in Worte zu fassen. Ich habe diesen Geschwistern meines Vaters soweit mir bewusst ist, nie etwas getan. Ich war allein,hilflos und bat um etwas für mich normales. Ich hätte bei einem solchen Hilferuf alles stehen und liegen lassen. Papa auch. Und das hat er mehrfach in seinem Leben für seine kleinen Geschwister. Nie hätte ich gedacht, wie bösartig diese Geschwister meinem Vater mitspielen.
Auf der Beerdigung sagte diese nette Tante „Du kannst dich ja mal melden… wenn du willst.“ Das war überhaupt das einzige, was sie sagte glaube ich. Und zu meiner Mutter: „Naja so richtig gehörst du nach G.s Tod nich mehr zur Familie.“
Ich hoffte über ein Jahr auf eine Entschuldigung. Ich dachte, das war doch nicht ernst gemeint, sie muss überfordert gewesen sein, geschockt, nein, so verhält sich niemand. Lass die Tür offen, sie werden kommen und sich dafür entschuldigen. Ich schrieb weiter Karten zum Geburtstag, Weihnachten… es kam eine Weihnachtskarte zurück, die sah aus wie eine trauerkarte. Nur die Unterschriften, kein Text. Meinen Geburtstag hatten sie sowieso schon immer vergessen, daran änderte sich nichts. Kein Anruf, keine Frage wie es geht, ob wir Hilfe brauchen, keine SMS, nur diese Weihanchtstraueekarte vor einem Jahr. Nach einem Jahr des Wartens hatte ich verstanden, dass es niemals zu dieser Entschuldigung kommen wird. Ich habe festgestellt, dass mich die Wut und der Hass auf diese Leute zerfrisst und ich beschloss, mich zu bemühen, dass ich mich nicht darin ergehe. Nicht weil ich verzeihe, das werde ich nicht. So etwas kann man nicht verzeihen. Nein, weil es mich sonst krank macht und mir die Energie raubt, wenn ich weiter voller Hass bin und die Wut mir immer wieder ins Hirn steigt. Ich möchte mit denen nichts mehr zu tun haben. Es gibt nichts mehr von mir, keinen Anruf, keine SMS, keine WhatsApp, keine Einsicht in meinen Status (den hat man immer sehr interessiert mitgelesen) und eben keine Weihnachtskarten. Kein warten mehr auf eine Entschuldigung. Kein Tür offen halten für Menschen, die es nicht wert sind. Und es fühlt sich richtig an. Und noch besser ist das Gefühl, wenn deren Karte kommt – oh und das war neu dieses Jahr: sie kam jetzt schon und ich frag mich allen ernstes wieso…- sie direkt in die blaue Papiertonne zu entsorgen. Es lebe das Recycling-Klopapier! Leider krieg ich dabei immer noch den Anflug von unbändiger Wut auf diese Schwestern meines Vaters. Irgendwann werden wir nichts mehr voneinander hören. Und es ist für mich ok. Es ist gut so. Meine Weihnachtskarten bekommen nur noch die Menschen, die sich ernsthaft drüber freuen. Und die mir in den letzten 1,5 Jahren zeigten, dass man nicht genetisch verwandt sein muss, um anderen beizustehen und an ihrer Seite zu sein. Wir sind nicht allein.