Der moderne Mensch

17 07 2016

Oder auch homo sapiens selfiestickus…

Wenn ich so durch Innenstädte malerischer kleiner Orte flaniere, da fallen mir ab und an so schöne alte Plastiken und Brunnen auf, die das Leben von einst darstellen. Habe mich jetzt gefragt, wenn in 200 Jahren die Ururururenkel von Assistenzarzt durch die Lande streifen, wie die Skulpturen dann aussehen… Eine Frau mit Coffee to go – Becher in der einen Hand und Smartphone in der anderen, die viel zu große und volle Handtasche krampfhaft auf der Schulter balancierend und in viel zu engen Hosen, die doch irgendwie an die mittelalterlichen Buxen der Minnesänger erinnern. Ein Kind, ebenfalls mit Smartphone in der Hand, Kabeln bis zu beiden Ohren und in der anderen eine Quetschpackung mit der Aufschrift Smoothie, insgesamt viel zu pummelig und mit kaum erkennbaren Muskeln. Ein Mann mit Vollbart, Brille mit zu großen Gläsern wie in den 1970ern und einem Basecap auf, das aussieht als würde er versuchen. Zu anderen Zivilisationen oder Sphären Kontakt aufnehmen wollen, in der einen Hand… Ihr ahnt es schon… Ein Smartphone, aber auf einer langen Stange befestig und merkwürdig vor sich haltend (die Antenne für die anderen Zivilisationen?) und in der anderen eine Wasserflasche. Dazu komische verlatschte Schuhe.

In den Galerien werden Bilder aus unserem Jahrhundert ausgestellt. Neben all den World Press Photos gibt es eine eigene Schau: Alltag es 21. Jahrhunderts. Da sind Bilder vom Essen auf Tellern, kilometerweite Bildstrecken von Tellern mit Essen. Außerdem Bilder von Menschen mit Smartphones, die darauf starren und durch die Straßen laufen, weil sie imaginäre Tiere verfolgen. Früher hätte man sie zur Therapie gebracht.

Was bleibt von der Generation Weichgespült? Nun ja diverse Erkenntnisse. Sie können alles nachlesen, aber wissen nicht, was man bei einem banalen Schnupfen tun muss. Sie kommen zu Ärzten und klagen über Beschwerden im Nacken und den Händen, mit denen sie aber im Wartezimmer ewig in ihr elektronisches frühstücksbrett tippten und sind völlig erstaunt, dass ein Körper auch da eine Grenze hat. Sie laufen mit den Coffee to go Bechern rum, aber wundern sich, wenn sie Magenbeschwerden und Stresssymptome bekommen. Sie geben ihren Kindern und sich selbst diese Smoothies und die Cola und Schokolade, die die deutsche Nationalmannschaft bewirbt, aber wundern sich, warum die Kinder und sie selbst langsam dick werden. Sie können alles nachlesen, sich über kritische Stimmen informieren, aber was gesunde Ernährung angeht, dafür reicht es dann leider nicht mehr. sie Fuchteln überall mit diesen ollen selfiesticks herum, aber was um sie herum passiert und wie schön die Welt sein kann, das sehen sie nicht mehr. Sie reden via whatsapp und Facebook miteinander, aber haben ständig das Gefühl, irgendwas fehlt, irgendwie ist da Leere, gar Einsamkeit. Sie haben ständig ihre Smartphones und Tablets an und reagieren auf jedes blingbling und wenn sie abends schlafen wollen, bleibt das Gefühl, der Tag war stressig, überfordernd und sie kommen nicht zur Ruhe. Abgesehen davon, dass ich denke, dass die moderne Kommunikation und dieses ständige Challenge-denken geradezu der Nährboden für immer häufigeres Mobbing in Schule und am Arbeitsplatz ist. Einer muss gewinnen ist heute der Satz, früher war es: wir schaffen das zusammen und wir helfen einander, weil einer allein nichts ist. Andererseits fehlen uns die Konfliktlösungsstrategien, die Menschen früher im Alltag und auf Arbeit hatten, weil wir eben anders kommunizieren als früher, heißt nicht, dass es unbedingt besser ist. Nein, es ist zudem alles noch so unecht wirkend, so aufgesetzt, so viel zu virtuell, so ohne Tiefgang und Authentizität. Und deswegen scheint nicht nur Generation weichgespült stets auf der Suche zu sein, sondern auch die Generationen Smartphone, Handy, Internet, Y und X. So genau lässt es sich eben doch nicht trennen. Getriebene der selbst geschaffenen Modernen Zeit ohne ein genaues Ziel zu kennen, ständig auf der Suche nach irgendetwas, das sie spüren lässt, sie leben und das Leben ist schön und lebenswert, dabei vergessend, dass es doch so einfach ist: Mülltonne auf, Smartphone rein, Tablet rein, selfiestick rein, Smoothies hinterher und ab in den Laden mal ne echte Kaffeetasse kaufen und nen echten Apfel dazu und sich mal Zeit nehmen, auch noch wahrzunehmen, was man tut, fühlt, schmeckt, riecht, ohne abgelenkt zu sein von blingbling und tütütüt.
Wird das jemand tun? Nö, erstmal auf Facebook ausdiskutieren… Der moderne Mensch eben.





Generation Smartphone geht Visite

24 09 2014

Mein junger Kollege nahm sein iphone 25 und fotografierte die Hautläsion des Patienten. Ein paar lässige Handbewegungen und er war fertig.
„Und Herr Dokter, wie geht es jetzt weiter?“ Fragte der alte Herr vor ihm.
„Wir warten jetzt was die anderen User sagen. Wenn sie für die Antibiose stimmen, nehmen wir die und wenn sie für Pred stimmen, dann das. Und noch heute nachmittag fangen wir an.“
„Und wann kann ich nach Hause?“
„Äh, die Frage stellen wir morgen rein.“
„Aha, und wer sind die anderen.“
„Na die anderen Ärzte aus der Community für Innere. Schwarmintelligenz, wissen Se, dat is die Zukunft.“ Ein überlegener Blick streifte mich. Ja, ich war alt geworden und über 50… Ich nutzte ein Telefon zum telefonieren, wie altmodisch. Und ich hatte im Studium noch eigenständiges Handeln gelernt. Naja, ok, erst im PJ und dann als Jung-Assistent. Meine Entscheidungen traf ich selbst aus jahrelanger Erfahrung heraus gepaart mit Lehrbuchwissen und den 60 Pflichtfortbildungsstunden im Jahr, die ich aber locker übertraf. Ich untersuchte meine Patienten noch mit den Händen, Stethoskop und anderen Gerätschaften statt Bilder vom Smartphone ins Netz zu stellen. Das brachte mir bestimmt „1000 Nutzer mögen das nicht“ ein und meinem jungen Kollegen 10000 User finden das gut. So änderten sich die Zeiten.
Twitter Account Dr Smartphone „wir gehen jetzt Visite“… 26 Patienten finden das gut…
„Wo ist die Schwester.“…
Patient 1 „hier nicht.“ 12 Patienten finden das gut
Patient 2 „hier auch nicht“ 14 Patienten finden das gut
Patient 3 „bei meinem Nachbarn auf dem Schoß.“ 14 Patienten finden das nicht gut, 1 Patient findet das gut
Patient 1 „träum weiter“
Patient 2 „das ist total sexistisch, du, da müssen wir drüber reden“ 14 Patienten finden das gut
Patient 3 „sorry, war nicht mein Nachbar“
Patient 1 „und wo ist sie denn jetzt? Dauert ja sonst noch ewig“ 20 Patienten finden das gut
Dr Smartphone „ja das find ich aber auch.“ 18 Patienten finden das gut
Patient 3 „auf’m Klo“
Patient 2 „woher willst du das wissen?“
Patient 3 „hab es gesehen?“
Patient 2 „wie gibts n video?
Patient 3 „nee in echt.“ 20 Patienten finden das gut
Patient 1 „wie das?“
Patient 3 „war aufm Flur, der Empfang ist hier so sch…“ 30 Patienten finden das gut
Dr Smartphone „sie ist da, geht los“ 22 Patienten finden das gut. Einen Arzt kümmert das überhaupt nicht… Mich… Können wir dann mal los, heute noch?!
Dr Smartphone schaltet sein Navi app dings ein und läuft mit dem Teil in der Hand los. Er findet sonst die Zimmer nicht. Atrophie des Orientierungssinns… Digitale retardierung. Aber er kann schon alleine Schleifen binden und hat die Klettverschlüsse seit einem Monat hinter sich gelassen. Ihm steht eine große Karriere bevor… Früher haben sie immer gehässig gesagt zu uns (also als ich noch jung war so 2010 oder so): Oberarzt wirst du wenn du alleine Schuhe zubinden kannst und den Weg allein aufs Klo findest… Wie beruhigend, trotz der großen Karriereaussichten wird Dr Smartphone wohl noch brauchen… So ganz ohne sein Navi und google Inside Hospital wird das noch lange nix… Ich strich mir süffisant grinsend über die weißen Haare…

Dann wachte ich schweißgebadet und tachykard auf … Was für ein Alptraum!!! Gott sei dank nur ein Alptraum und weit weit Weg von der Realität… Ich schlug meine klatschnasse Bettdecke zur Seite und setzte mich auf. Ich muss meinen Studenten diese Dinger wegnehmen… Irgendwie muss ich dann wieder eingeschlafen sein.