Masern – Ein paar Fakten

3 04 2008

Das Thema Masern ist im Moment wieder mal hochaktuell. Deshalb an dieser Stelle mal ein paar sachliche Fakten, quasi eine nicht-CME-zertifizierte Online-Fortbildung.

Das einzige Reservoir für das Masernvirus ist der Mensch. Das heißt, sie werden nur von Menschen auf Menschen übertragen, Pfiffi, Miezi oder Goldi kommen dafür nicht in Frage.

Wenn Masern-Erkrankungen auftreten, wird in der Regel geschaut, zu welchem Genotyp das Virus gehört. Auf diese Weise ist es möglich zwischen Wildvirus und Impfvirus zu unterscheiden. Seit 2000 sind fast alle Masernviren in Deutschland dem Genotyp D7 zuzuordnen, zuvor waren es C2 und D6.

Masern werden über Tröpfcheninfektion übertragen. In der Luft befindliche Mikrotröpfchen, die masernvirushaltiges Atemwegssekret enthalten, haben lange Zeit ansteckungsfähige Viren in sich. Masernviren sind hochansteckend. 98% der ungeimpften mit Kontakt zu Masernerkrankten werden vom Virus befallen. Das heißt, wenn 100 ungeimpfte Kinder in einem Kindergarten sind und ein Kind mit Masern wird von Masern-Mutti trotz Erkrankung hingebracht und hustet ein paar Mal dort, dann werden 98 der ungeimpften Kinder in diesem Kindergarten krank. Auch ohne Masernparty. Ja, das kann einem ein gewisses Gefühl von Macht verleihen, oder? Die Masernviren werden von den feinsten Aerosoltröpfchen in der Luft über die Schleimhäute beim Atmen aufgenommen (also Mund, Rachen, Bronchialwege) und auch über die Bindehäute der Augen.

In Ländern mit hohen Durchimpfungsraten wie USA und Skandinavien gibt es keine einheimischen Masern mehr, nur noch importierte Erkrankungen, z.B. aus Bayern oder sonstwo in Deutschland. Deswegen wird amerikanischen Touristen unbedingt dazu geraten sich und ihre Kinder mit einem kompletten Impfschutz zu versehen, bevor sie in unsere verseuchten Breiten einreisen. Besonders hoch ist die Masernrate in BAY, BW, NRW mit 30 Fällen / 100000 Einwohner, in den neuen BL dagegen nur 1 Fall / 100000 Einwohner. Die WHO möchte die Masern auch in Europa gerne bis 2010 ausgerottet haben, was aber die ungeimpften Masernkinder bzw. die in der Regel noch selbst geimpften Masern-Muttis wohl verhindern werden. Früher waren die Masern vorwiegend bei Kleinkindern aufgetreten, heute eher im Schulkindalter und bei Jugendlichen. Letzteres hat negative Konsequenzen für die Todesrate.

Das Masernvirus steht auf Zellen des Nervensystems und des Lymphsystems. Diese fällt es nach Eindringen in den Körper zuerst an. Nach dem Eindringen in den Körper über die Schleimhäute der Atemwege und der Augen, also der Infektion, folgt die Inkubationszeit von 8 – 10 Tagen. Inkubationszeit = Träger des Virus ohne Krankheitszeichen. Dann beginnt das katarrhalische Stadium. Heißt, es geht los wie bei einer Erkältung, nur schärfer. Plötzliches hohes Fieber (Minimum 38,5°C), gerne auch mit Fieberkrämpfen und Bindehautentzündung. Die Kinder schreien vor Schmerzen, weil sie extrem lichtempfindlich sind durch die Bindehautentzündung. Dabei dann natürlich auch Husten, trockener Husten, Heiserkeit, Entzündung der Luftröhre und Bronchialwege (Tracheobronchitis). Bei vielen Kindern finden sich innen an der Wangenschleimhäut weißliche Flecken in dieser Phase. Das Fieber geht dann nach 1-2 Tagen erstmal runter. Achtung: In dieser Phase sind die Kinder bereits ansteckend. Masern-Mutti geht dann mit Junior vielleicht noch in den Supermarkt oder bringt ihn noch in den Kindergarten mit ein paar Fieberzäpfchen zuvor. Dieses katarrhalische Stadium dauert 3-4 Tage. Am 3. bis 4. Tag schießt das Fieber wieder hoch und beginnt das Exanthem, also der Hautausschlag. In der Regel fängt das ganze retroaurikulär an = hinter den Ohren und breitet sich nach unten über den ganzen Körper aus. Auch in dieser Phase kommt es häufig zu Fieberkrämpfen. Die Kinder mögen nicht essen, kaum trinken, haben hohes Fieber, quälenden Husten.  Das Exanthem breitet sich nun aus in den nächsten Tagen. Das Kind hat immer noch hohes Fieber. Wenn es die unteren Extremitäten erreicht hat, dann sinkt auch das Fieber nach etwa 3-4 weiteren Tagen. Einige Stellen dieses Exanthems, also Hautausschlags, können auch unterbluten. Das kommt durch eine Störung der kleinsten Gefäße zustande. Etwa 1 von 1000 erkrankten Schulkinder bzw. Jugendlichen stirbt, meist infolge einer Hirnentzündung oder Lungenentzündung.

Bei Kindern, die eine angeborene Störung des Abwehrsystems haben, wie zB. Defekte im T-Zell-System oder die Immunsuppressiva nehmen, z.B. nach Transplantationen oder bei Autoimmunerkrankungen kann der Verlauf auch mal völlig untypisch sein.  Diese Kinder kriegen sehr häufig Lungenentzündungen und eine Enzephalitis (also Hirnentzündung). Daran können sie auch sterben.

Wenn Schwangere erkranken, sprich wenn die Kinder der Impfgegner selbst Kinder bekommen, dann besteht die Gefahr von Fehl- und Frühgeburten. Die Schwangeren bekommen auch sehr häufig Lungenentzündungen.

Eine Masernerkrankung führt fast immer zu einer vorübergehenden Abwehrschwäche von mindestens 6 Wochen. Das Immunsystem des Kindes ist also für mindestens 6 Wochen platt, egal ob nun Homöopathische Wässerchen oder nicht. Das beruht darauf, weil das Virus wie oben schon gesagt, scharf auf Zellen des Lymphsystems ist und sie schädigt. Kann man vielleicht vergleichen mit Leuten, die Immunsuppressiva nehmen müssen, Krebs oder HIV haben, denn die haben allesamt eine Abwehrschwäche. Die Kinder kriegen in der Folge häufig Erkrankungen durch Bakterien, weil der Körper durch das Maserngeschädigte Immunsystem nicht in der Lage ist, sich dagegen zu wehren. Dazu zählen Mittelohrentzündungen, Durchfallerkrankungen, Laryngotracheobronchitis (=Masern-Krupp), Lungenentzündungen (weil das Masernvirus zuvor die Zellen der Atemwegsschleimhaut geschädigt hat), … Bei einem Teil der Kinder hält diese Abwehrschwäche auch für längere Zeit an. Naja, bleibt Masern-Mutti halt mal länger zuhause und riskiert nebenbei ihren Job. Achso, naja, dass Junior so oft krank ist… Masern-Mutti pflegt ihn schon. Das festigt die Mutter-Kind-Beziehung.

Weitere Komplikationen gefällig?

Bei etwa 10% der Kinder (= eins von zehn erkrankten Kindern) treten Fieberkrämpfe auf. Die müssen dann nicht unbedingt mehr auf die Masernerkrankung beschränkt bleiben. 50% der Kinder mit einem komplikationslosen Verlauf haben anschließend EEG-Veränderungen, soll heißen dass sie potentiell gefährdet sind, Krampfanfälle zu bekommen. Dazu kann z.B. das nächste Fieber führen oder Stress etc. Bei den meisten gehen die EEG-Veränderungen wieder weg, bei einigen nicht. Die werden dann halt auch mal Epileptiker. Übrigens führt jeder Epileptische Anfall zu einer passageren Sauerstoffunterversorgung des Gehirns und kann damit zum Zelltod einiger Hirnzellen führen. Je häufiger die Anfälle, desto schlechter fürs Gehirn.

Bei 1 von 500 Schulkindern / Jugendlichen Erkrankten kommt es zu einer Enzephalitis, also Gehirnentzündung. Masern-Mutti kann also schon mal mit dem Abzählen beginnen. Bei Kleinkindern liegt die Rate etwas niedriger mit 1 / 10000. Die Erkrankten haben dann nach Abklingen der Akutsymptomatik der Masernerkrankung wieder Fieber, bekommen Übelkeit und Erbrechen, weiterhin eine Nackensteife, sind benommen, stehen neben sich und kriegen Krampfanfälle. Eines von 5 Kindern und Jugendlichen, die eine Masernenzephalitis bekommen, stirbt daran. Kapiert? Von 2500 masernerkrankten  Schulkindern oder Jugendlichen wird einer an einer Enzephalitis sterben. Die anderen haben in der Regel psychische Veränderungen, was aber nicht gleichzusetzen ist mit dem Erwerb einer inneren Reifung durch die Erkrankung. Es handelt sich dabei um Persönlichkeitsveränderungen, Lernschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten und kann bis zu einer geistigen Retardierung mit lebenslanger Betreuungsbedürftigkeit führen. Ein Teil der Kinder behält auch Lähmungen zurück. Ok, sie können dann immer noch in einer Behindertenwerkstatt arbeiten und sich einen schicken Rollstuhl aussuchen.

Außerdem gibt es da noch die subakute sklerosierende Panenzephalitis, die bei 1 von 500000 Erkrankten auftritt. Ok, jetzt mögen viele sagen, die Chance ist nicht so sonderlich hoch. Zum Glück kann ich da nur antworten, denn diese Spätkomplikation führt definitiv zum Tod. Diese Spätkomplikation tritt etwa 2 bis 8 Jahre nach der Masernerkrankung auf, insbesondere bei denen, die die Erkrankung im frühen Kindesalter durchgemacht haben. Es beginnt mit Verhaltensauffälligkeiten, führt über Muskelstörungen und Krampfanfälle letztlich zur Dezerebrationsstarre = Koma oder Wachkoma, Apalliker, wie auch immer man dazu sagen mag. Die Erkrankung führt wie gesagt immer zum Tod.

Tja, was kann man machen als Arzt? Wenig. Symptomatisch nennen wir das. Heißt, im Notfall kommen die Kinder ins Krankenhaus oder gar auf die Intensivstation zur Überwachung. Bei bakteriellen Infektionen werden Antibiotika gegeben. Man hat bereits versucht bei Kindern mit einer angeborenen oder erworbenen Immunschwäche (also T-Zell-Defekte, Autoimmunerkrankungen, Transplantationen, Krebs etc.) Ribavirin zu geben, aber darüber gibt es keine Studien und ein Beweis für die Wirksamkeit gibt es bisher noch nicht.

Ansteckungsfähig sind Masernerkrankte 4 Tage vor bis 4 Tage nach Auftreten des Exanthems, also des Hautausschlags.

Bei Kindern mit Immunschwäche, bei denen aus verschiedenen medizinischen Gründen keine Impfung erfolgen konnte, muss bei Kontakt zu Masern-Muttis Liebling innerhalb der ersten drei Tage nach Kontakt geimpft werden. Zusätzlich erhalten diese Kinder Immunglobuline. Dieses Verfahren ist durchaus mit Komplikationen wie allergischen Reaktionen verknüpft und wird nur im Notfall gemacht. Aber es ist eben selbst den vorsorglichsten Eltern nicht immer möglich, ihr Kind vor einem Masern-Spreader zu schützen. Bliebe das Auswandern nach Skandinavien oder USA mit besseren Impfraten…

Eltern der masernkranken Kinder haben nicht nur das Recht auf Selbstbestimmung bezüglich der Impfung. Sie haben auch die Pflicht, ihre Kinder dann zuhause zu isolieren, damit keine anderen angesteckt werden – z.B. Kinder unter 15 Monaten, immungeschwächte oder Kinder die medizinische Kontraindikationen für eine Lebendimpfung haben. Aus meiner Sicht ist jedes Mal, wenn ein ansteckungsfähiges Kind in die Öffentlichkeit kommt, also Bus, Bahn, Supermarkt, Kindergarten, Sparkasse etc… ein fahrlässiges Verhalten der Erziehungsberechtigten. Steckt sich ein anderes an z.B. weil Masern-Muttis Junior in den Kindergarten kommt und mit den kleinsten spielt obwohl krank, würde ich als Mutter glatt eine Anzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung erstatten. Es wäre interessant zu wissen, was dabei rauskommt, denn letztlich kriegen die Eltern der Erkrankten Auflagen vom Gesundheitsamt. Eine Wiederzulassung zu Gemeinschaftseinrichtungen ist erst ab dem 5 Tag nach dem Exanthem wieder möglich, bei Kontaktpersonen frühestens nach 14 Tagen. Heißt, dass alle anderen Kinder aus der Kindergartengruppe 14 Tage nicht in die Einrichtung dürfen sofern sie nicht geimpft sind. Da wird sich Masern-Muttis oder Masern-Papis Arbeitgeber aber freuen.

Jeder Arzt, der nur den Verdacht auf eine Masernerkrankung hat, ist verpflichtet dies dem Gesundheitsamt zu melden.

Fassen wir also zusammen: Von 1000 an Masern erkrankten Schulkindern und Jugendlichen stirbt 1 Kind, in der Regel an einer Enzephalitis oder Lungenentzündung. Von 500 Masernkranken Schulkindern und Jugendlichen kriegt 1 eine Enzephalitis. Eines von 5 Kindern mit einer Enzephalitis stirbt. Sofern die Kinder die Enzephalitis überleben, haben sie in der Regel psychiatrische oder neurologische Störungen zurückbehalten. Die Hälfte aller Kinder mit einem „Normalverlauf“ der Masern, haben Veränderungen im EEG, aus denen sich eine Epilepsie entwickeln kann wenn andere Risikofaktoren hinzukommen. 10% der Kinder kriegen Fieberkrämpfe, die sich nicht auf die Masernerkrankung beschränken müssen. Bei einem von 500000 Masernerkrankten beginnt nach 2 bis 8 Jahren die SSPE, die immer zum Tod führt. Für mindestens 6 Wochen haben alle Masern-Kinder eine Schwäche des Immunsystems, die zu weiteren Folgeinfektionen aller Art führt, unter Umständen auch mit schweren Folgen wie Tod durch Lungenentzündung.

Es gibt eine Impfung ab dem 10. Lebensmonat, Lebendimpfung, Kombination mit Mumps und Röteln, neuerdings auch Windpocken, die nach zweimaliger Impfung zu einem 99% igen Schutz gegen alle Erkrankungen führt. Es ist empfohlen Kinder vor Aufnahme in eine Gemeinschaftseinrichtung zu impfen, da Masern-Muttis überall sind. Impfviren sind nicht auf gesunde Kontaktpersonen übertragbar. Eine Testung auf Antikörper vorher und nachher macht nach derzeitigen Erkenntnissen keinen Sinn. 50% der Eltern, die behaupten, ihr Kind habe die Masern bereits gehabt und brauchen nicht geimpft werden, lügen oder liegen falsch mit ihrer Aussage. Eine bereits durchgemachte Erkrankung oder bereits erfolgte Impfung führt bei Impfung nicht zu Schäden, da die Impfviren durch die vorhandenen Antikörper sofort neutralisiert werden. Und: Es zählen nur DOKUMENTIERTE Impfungen.

Quelle: „Infektionskrankheiten“ von Suttorp, Mielke, Kiehl, Stück aus dem Georg-Thieme-Verlag und RKI-Homepage Seite zu Masern

Links:

Wikipedia

Robert-Koch-Institut (RKI)