#metoo in der Medizin

8 03 2023

Ich weiß immer nicht, was ich sagen soll, wenn ich höre „Wozu #metoo – sowas gibts bei uns nicht“ oder „wir sind Ärzte, das macht keiner“ oder „wir sind alles gebildete Menschen, sowas brauchen wir nicht“. Meine Antwort darauf ist ganz klar: DOCH!

Ich beziehe mich jetzt – nur um es ganz klar abzugrenzen – auf das Verhältnis zwischen Ärzten und Ärztinnen und nicht auf Vorfälle mit Patienten. Die finde ich genauso verwerflich und strafbar. Ich möchte aber an dieser Stelle explizit dazu auffordern, dass wir Ärzte in unseren eigenen Organisationen Strukturen errichten, die es zum einen ermöglichen, dass anonyme Beratungen der Betroffenen erfolgen, dass präventiv strukturelle Änderungen geschaffen werden – sowohl in Kliniken, Praxen, MVZ aber auch in unseren ärztlichen Organisationen – und vor allem in Approbationsordnung und Weiterbildungsordnungen, dass es aber auch ermöglicht wird, dass Vorfälle verfolgt werden können, ohne dass Karrierestürze zur Bestrafung für die Betroffenen drohen, während Täter weiter in ihren Positionen verbleiben. Während ich dies schreibe, erscheint mir mein Wunsch nahezu unmöglich. Doch wenn keiner anfängt, das Thema anzusprechen, wenn niemand sich traut zu sagen, dass es in unserer Branche so etwas gibt, wenn niemand sagt, dass es Hilfe und Veränderung braucht, dann werden unsere Töchter genauso darunter leiden wie wir und wie unsere Mütter.

Ich war Studentin, gerade einmal 23, da bekam ich Differenzen mit meinem damaligen Doktorvater, für den ich auch HiWi-Dienste leistete. Es fiel irgendwann der Satz „Ich möchte keine Lippenbekenntnisse mehr, ich will einen Vertrauensbeweis!“. Ich fragte, wie er das meint. Ahnungslos, was da wirklich hinter stand, naiv wie man als junge Frau manchmal ist. Er antwortete „Genauso, wie ich es gesagt hab.“ Da mein Entschluss bereits stand, das dort alles hinter mir zu lassen, packte ich meine Kündigung auf den Tisch. Ich berichtete einem Kollegen von dem Gespräch, der etwas älter war als ich. Erst da begriff ich, welche Forderung da tatsächlich hinter stand.

Als Studentin im Chirurgie-Praktikum ging ich mit Kommilitonen die Treppe zur Kantine rauf. Ein Oberarzt ging hinter uns. Erst zog er mir an den Haaren, dann fasste er mir in BH-Höhe auf den Rücken. Ich drehte mich um, im Willen, demjenigen ein paar zu scheuern, als ich erkannte, es war ein Oberarzt, stoppte ich. Er lachte nur. Kein Wort der Entschuldigung, sondern der Satz, es hätte ihn so gelockt.

Während des PJs hatte ich schlicht Glück. Ich war in der uns allen verhassten Chirurgischen Klinik in einem Bereich eingesetzt, wo es keine Grapscher gab. In der Allgemeinchirurgie sah es anderes aus. Da versuchten die Mädchen ständig mit den Jungs zu tauschen für die OPs. Und es gab Ärzte die das gerne unterbunden haben, wenn sie es schafften. Hintergrund: Der PJ hält am OP-Tisch die Haken. Er ist steril, darf sich nicht bewegen und muss den Mund halten. Jedenfalls in der Klinik wo ich war. Er/sie kann sich nicht dagegen wehren, wenn ein Arzt mal gucken kommt, wie es läuft, der unsteril ist, also alles unsterile anfassen und sich bewegen darf, und den unsterilen Hintern einer Studentin anfasst, während er ihr über die Schulter guckt. Und alle schweigen – die OP-Schwestern, die das Problem kennen, die anderen Ärzte, die den Testosterongesteuerten Kollegen nur zu gut kennen, die Anästhesie, weil sie sich raushalten will und nicht zuletzt die Studentin, weil sie angeschrien wird, wenn sie wackelt, weil sie angeschnauzt wird, wenn sie was sagt und weil ihr sowieso keiner glauben würde und man beachte… weil sie genau diesen Arzt vielleicht fragen muss für ihre PJ-Bescheinigung oder vielleicht als Prüfer im Staatsexamen hat. Sollte das ein Kollege lesen, der selbst so eine unruhige Hand besitzt: Ich wünsche Ihnen nichts böses, weiß Gott nicht, das steht mir nicht zu. Ich hoffe für Ihre Tochter, dass sie den unbedingten Wunsch hat, Medizin zu studieren und sich nicht davon abbringen lässt und dann in eine Chirurgische Klinik eingeteilt wird, in der Sie keinen Einfluss haben. Sollte sich Ihnen gerade der Magen umdrehen, nehmen Sie eine Pantoprazol und denken mal stark über Ihr alltägliches Verhalten nach und lassen sich was gegen unruhige Hände geben.

Mir sind von Kolleginnen auch weit stärkere Übergriffe berichtet worden, Dinge, über die man kaum spricht, weil Aussage gegen Aussage steht, weil der Vorgesetzte das Weiterbildungszeugnis schreibt oder schlicht den OP-Plan beeinflusst oder den Dienstplan einteilt oder aber einfach einschüchternd genug ist. Unerwünschte Umarmungen, aufgezwungene Küsse oder deren Versuche, Brust anfassen beim Greifen nach etwas neben der Person. Es ist leider die Palette, die in jedem Unternehmen passieren kann, in jeder Einrichtung, egal wo und egal wann. Es ist immer das gleiche Spiel von Abhängigkeiten, Angst, Dominanz, Verleugnen und Schweigen derjenigen, die auf Augenhöhe mit den Tätern sind. Damals, als wir Studenten waren, haben wir die gehasst, die das taten (und mit wir meine ich meine Kommilitonen und Kommilitoninnen), wir waren Anfang-Mitte 20, die waren zwischen 40 und 60. Heute sind sie 60 und aufwärts und wir sind die zwischen 40 und 60. Wenn mir heute meine Famulantinnen von ihren Famulaturen erzählen, wenn junge Kolleginnen über solche Dinge heimlich berichten im Freundeskreis, dann bin ich entsetzt und denke, wir waren doch damals die, die es besser machen wollten… warum ist dann alles noch so wie damals?





Herrenwitz und toxische Männlichkeit mit Doktortitel

8 03 2023

Natürlich ist mir klar, dass ich mit Beiträgen wie diesen bei vielen die Illusion vom TV-geprägten Bild des edlen Mannes im weißen Gewand in Zweifel ziehe. Aber dieses Bild existiert tatsächlich nur in den Fernsehserien. In jedem weißen, oder fast weißen, Arztkittel steckt ein Mensch, männlich, weiblich oder divers. Und der männliche Mensch ist auch nicht anders als Akademiker anderer Profession, egal ob Ingenieur, BWLer, Lehrer oder Handwerker, Musiker etc. Fragt man seine Kolleginnen. Ich persönlich habe in über zwei Jahrzehnten alle Arten von männlichen Kollegen kennengelernt: liebe und nette Familienmenschen, die man einfach nur mögen muss, völlig karriereorientierte Typen, die mit dem Job verheiratet waren und sich für nichts anderes interessierten, und leider auch genügend Kollegen, die sich aus diversen Gründen ihren Kolleginnen gegenüber nicht besonders nett verhielten.

Thema: Catcalling und vergleichbare Anmachen

Wer glaubt, dass Ärzte das nicht machen, vergesst es. Stellt Euch vor, ihr seid Famulantin und euer Stationsarzt ist total nett, verheiratet, 2 Kinder, und dann kommt irgendwann aus dem Nichts so ein Spruch wie „na wenn ich noch jünger wäre, würde ich dich auch nicht von der Bettkante stoßen.“ oder „bei deinem Arsch solltest du dich nicht so viel bücken, sonst kann ich mich nicht konzentrieren“ oder „hast du nen Freund?“. Seid ihr drin in der Visualisierung der Situation? Mitten in der Stationsvisite oder im Arztzimmer? Ja? Dann versetzt Euch jetzt mal in die Emotion der Studentin im 4. Studienjahr, Anfang 20, die das von ihrem Stationsarzt, der ihr die Famulatur bescheinigen soll und über ihre täglichen Aufgaben entscheidet, Ende 30 zu hören bekommt. Wie reagiert man darauf? Schlagfertig? Liegt nicht jedem. Schweigen? Ihn darauf hinweisen, dass das gerade etwas zu weit ging? Hoffen, dass eine Ärztin das gehört hat und den Kollegen mal nett drauf hinweist? Mit welchem Gefühl geht sie nach Hause? Mit welchem Gefühl geht sie den nächsten Tag wieder hin? Ich lasse es mal so offen stehen…

Thema Herrenwitze

Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen über Jahre mit einem Kollegen zu arbeiten, der ein schier unerschöpflichen Vorrat an Herrenwitzen hatte. Leider brachte er sie irgendwann in Dauerschleife. Je schlechter seine Ehe wurde, desto mehr gab es davon zu hören. Vielleicht lag Ursache und Wirkung auch genau andersherum, wer weiß. Den Gipfel der Geschmacklosigkeit erreichte er gemeinsam mit zwei Vorgesetzten in einer Visite. Ich vertrat als Quotenfrau das weibliche Geschlecht mit Approbation. Es war außerdem noch eine junge Famulantin dabei, die gerade angefangen hatte. Nach einem Zoten-Warm Up während der Visite erreichte man den Höhepunkt vor einem Zimmer. Die Tür zum Zimmer der nächsten Patientin stand offen. Auf dem Flur saß ein neuer Patient. Wir standen um den Visitenwagen. Die Patientin war neu. Sie hatte eine schwere TumorOP im Gyn-Bereich in der Vorgeschichte. Es fiel der Satz „Naja, wie alt ist sie? Ach, da braucht sie das eh nicht mehr.“ Mein Puls ging hoch, ich schwieg, man korrigiert seinen Chef nicht ohne weiteres. Die Famulantin schaute verunsichert. Antwort meines geübten Kollegen „Ach, Chef, Sie wissen doch, auf alten Schiffen lernt man das Segeln!“ Eine Herrenrunde schüttete sich aus vor lachen. Vor offener Zimmertür, die Patientin hörte alles, unter Missachtung des Datenschutzes, vor einem neuen Patienten, vor einer jungen Frau Anfang 20. Nach dem Warm Up mit diversen Zoten in der Visite platzte mir der Kragen und ich schlug mit der flachen Hand auf den Visitenwagen. Ich sagte, das geht zu weit, die Tür steht offen, das ist respektlos und hier sitzen Patienten auf dem Flur und wir haben eine Studentin dabei, sowas gehört in die Eckkneipe, aber nicht in eine Chefarztvisite. Ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass die Patientin so gedemütigt wurde und alles hören konnte und niemand würde etwas sagen. Alles was mein Vorgesetzter fragte war, ob ich Feministin bin. Ich fragte, was es damit zu tun hat, ich habe einfach nichts übrig für Geschmacklosigkeiten gegenüber Patienten. Seine Nachbesprechung dazu diente wohl mehr dazu, sich zu versichern, dass es auf Station bleibt und nicht im Haus erzählt wird, oder hatte er wirklich ein schlechtes Gewissen? Keine Ahnung. Sollte sich einer der betreffenden hier wiedererkennen… ich empfehle zu schweigen und sich jede weitere Peinlichkeit der Offenbarung zu ersparen.

Natürlich ist dies exemplarisch herausgegriffen. Jede von Euch, die in Bereichen arbeitet, wo mehr Männer als Frauen sind, wird das in dieser oder ähnlicher Form vielleicht erlebt haben. Bei einem Frauenüberschuss habe ich das tatsächlich so gut wie nie erlebt. Auch Blondinenwitze sind immer wieder gerne genommen, gerade gegenüber jungen Kolleginnen, wenn ihnen Missgeschicke unterlaufen. Klar, es klingt wie ein Scherz. Sicher, man kann es als solchen abtun. Aber wenn es immer wieder vorkommt, stellt sich die Frage, ob dem Kollegen schlicht das Repertoire zu klein geraten ist oder aber ob eine gewisse Gewohnheit oder auch ein Muster dahinter steckt.

Thema PDE-4-Hemmer-Muster

Und? Wer von euch hat es erlebt? Es kommt ein Vertreter auf Station, es gibt einen neuen PDE4-Hemmer, neue Abpackung, Dosierung oder was auch immer und es gibt ein Muster. Der Kollege nimmt sein Muster an sich. Und hält dann die Hand auf und kassiert euer Muster ein bzw. Bringt die herzerweichende Geschichte von einem Freund, der dringend Hilfe braucht. Ich habe es mal fertig gebracht, das Muster, für das ich unterschrieben habe, in mein Fach einzuschließen und für Patienten aufzuheben. Ich wurde dafür zuerst mit der netten Geschichte bearbeitet, dann aggressiv angemacht, ich sei doch in keiner Beziehung (wobei ich meinen Beziehungsstatus nie öffentlich diskutiert habe), dann wurde er laut, schließlich war er kurz vor dem Toben und beschimpfte mich als gierig und Zicke. Ich finde, auch ein Arzt kann zum Urologen gehen, wenn er Erektionsprobleme hat und hat nicht das Recht, die Herausgabe von Mustern zu erzwingen. Seine Ehe konnten die Dinger auch nicht retten oder vielleicht haben gerade sie zum Ende derselbigen geführt, keiner weiß es.

Thema Einschüchtern und Ausgrenzen

Körpersprache ist bei Männern und Frauen verschieden. Auch innerhalb der Männer als Gruppe ist jeder individuell zu sehen. Und doch gibt es Muster, die bestimmte Männer immer wieder abrufen. Und sie tun es nicht nur zuhause, um sich in der Ehe durchzusetzen oder sonstwo, nein, sie tun es auf Station. Wer sich mit Körpersprache beschäftigt, kann so einiges beobachten. Ich habe mehrere Jahre in einem männlich dominierten Umfeld arbeiten müssen, teilweise als einzige Ärztin. Nicht leicht. Die Visiten zeigten oft ein eindeutiges Bild, insbesondere, wenn Kollegen anderer Fachrichtungen dabei waren. Selbst als Fachärztin wurde ich von vielen als „Beiwerk“ oder Sekretärin betrachtet, die die Akten tragen durfte. Das hab ich mir ziemlich schnell abgewöhnt. Zwischen nett und hilfsbereit bis zu ausnutzen ist ein schmaler Grat. Vor den Zimmern bildeten die Männer regelmäßig von ganz allein einen Kreis zum diskutieren. Ich stand mit der Stationsschwester als Frauen außerhalb. Man bezog uns schlichtweg nicht in die fachliche Diskussion ein. Und nein, ich habe nicht in einem Land gearbeitet, wo die Frau 5 Schritte nach dem Mann gehen muss. Mitten in Deutschland. Und wenn Ihr morgen Visite geht, dann beobachtet mal… Ich empfehle euch das Studium entsprechender Bücher zur Körpersprache, die es zur Genüge gibt…
Einer der Oberärzte hatte es am Wochenende immer drauf, bei der Visite die Frauen als Aktenträger zu benutzen. Irgendwann knallte er mir mal eine Kurve direkt vor den Brustkorb. An meine Brüste. Es tat weh, weil er Schwung hatte. Er merkte es glaube ich nicht mal mehr. Original Satz „Hier schreiben!“
Was auch oft gemacht wird, um seinen Willen durchzusetzen ist, dass die männlichen Kollegen lauter werden, gerade Vorgesetzte können das gut. Muss das sein? Wenn’s vernünftig ist, wo ist da die Diskussion? Lauter soll aber einschüchtern, Dominanz zeigen. Manchmal erinnerte mich alles an unsere nächsten Verwandten im Regenwald von Zentralafrika… Und ich meine nicht Homo sapiens. Auch Dominanzgesten kommen immer gut, sich groß machen, breit machen. Das führt dazu, das unbewußt bei vermeintlich schwächeren ein Rückzug und Anerkennen der Dominanz desjenigen erfolgt, was wiederum die Aufteilung der Arbeiten und die gesamte Kommunikation miteinander beeinflusst. Bei Kolleginnen habe ich sowas nie beobachtet. Die Spitze solcher Dominanzspiele war für mich, dass ein Assistenzarzt kurz vor der Facharztprüfung, der seinen Willen nicht bekam, mich als Prellbock nutzen wollte, und mich im Stationszimmer anschrie. Es hat an der Entscheidung unseres Vorgesetzten nichts geändert, aber an unserem Verhältnis zueinander nachhaltig. Ich fühlte mich als Prellbock missbraucht und als Frau diskriminiert.
Zum Ausgrenzen gehört für mich auch, dass oft männliche Assistenzärzte bevorzugt werden, wenn es um Eingriffe geht, während Frauen die Stationsarbeit mit Aufnahmen und Briefen aufgehalst wird, am besten verbunden mit einem Satz wie „Du kannst das so gut.“ Ein Kompliment ist dann ein Kompliment, wenn ernst gemeint ist und nicht zum erreichen eines Zweckes wie Abwälzen von Arbeit benutzt wird, dann ist es Manipulation.
Erstaunlich finde ich, dass in vielen Bereichen zuerst an männliche Kollegen herangetreten wird, wenn es um die Vergabe von Vorträgen geht, mit denen ein zusätzlicher Verdienst verbunden ist. Anders sieht es aus mit internen Fortbildungen, für die man Zeit aufwenden muss, aber weder Anerkennung externer Kollegen oder finanzieller Gewinn steht.

Ich möchte Euch einen Anstoß geben, darüber nachzudenken, wie ihr in Eurem Bereich arbeitet. Denkt mal darüber nach, wenn ihr nach Hause geht und der Tag war ok, aber ihr fühlt euch irgendwie schlecht und wisst nicht warum oder wenn sich alles irgendwie ungerecht anfühlt – vielleicht ist es das ja? Stellt euch einfach mal die Frage, ob Chancengleichheit wirklich da ist. Ich habe sie mir oft gestellt, aber die Antwort, die fand ich nicht schön.





Gruß zum Frauentag 2023

7 03 2023

Liebe Leser, Liebe Kolleginnen,

Ein herzlicher Gruß zum Frauentag an Euch alle. In meinem Bundesland – das viele der langjährigen Leser längst kennen bzw. erahnen – ist der Frauentag ein Feiertag. Und dieser gibt mir die Chance zu bloggen. Ich bin von einer regelmäßigen Bloggerin zu einer selten-Bloggerin geworden, was meinen beruflichen Aufgaben geschuldet ist. Doch dieses Blog wollte ich nicht aufgeben. Der geneigte Leser kann erkennen, dass es mich bereits einen großen Teil meiner beruflichen Laufbahn begleitet. Gestartet bin ich als Assistenzarzt, derzeit unterwegs als Hausarzt. Da das Blog aber etabliert ist, gibt es für mich keinen Grund, den Namen zu wechseln oder Irritationen mit anderen bloggenden Kollegen zu erzeugen. Und für alle, die es über die Jahre noch nicht verstanden haben: Assistenzarzt ist weiblich. Da ich mich aber, dank meiner modernen Erziehung, als gleichwertig mit männlichen Kollegen betrachte, fühle ich mich bei „die Ärzte“ genauso angesprochen wie alle männlichen Kollegen. Also war es mir völlig egal, ob Assistenzarzt oder Assistenzärztin. Ganz egal dann doch nicht, denn in den online-Suchmaschinen werden Umlaute häufig benachteiligt – also wurde es der Assistenzarzt im Titel. Und nein, mich stört es nicht als Frau. Für alle gekränkten männlichen Egos kann ich psychotherapeutische Sitzungen empfehlen. Und damit kommen wir zu meinem aktuellen Anliegen: Ich warte seit Jahren darauf, dass auch in der Medizin mal das Thema MeToo und das Verhalten ärztlicher Kollegen ihren Kolleginnen gegenüber thematisiert wird. Jegliche Versuche werden immer im Keim erstickt oder scheitern, weil die Angst größer ist, als das Bedürfnis, das Problem auf den Tisch zu bringen. Der Ärztinnenbund hatte vor einiger Zeit mal eine Kampagne begonnen, aber was nützt das, wenn sich keine Ärztekammer, keine KV, keine Gewerkschaft dahinter stellt und mitmacht? Nichts. Ich habe keine Lust mehr zu Schweigen. Zu schweigen über toxische Männlichkeit, die im Stationsbetrieb ausgelebt wird. Über Sätze, die nett klingen, aber diskriminierend sind, über die Benachteiligung von Frauen in Teilzeit, wenn es um Oberarztstellen geht, über Herrenwitze an der falschen Stelle, und ja auch über übergriffige Kollegen. Wir arbeiten in einem System von Abhängigkeiten, Vorgesetzten, die auch in der Ärztekammer leitende Stellen besetzen und extrem gut vernetzt sind, von Weiterbildungsordnungen, die dafür sorgen, dass Zeugnisse immer noch vom Willen und Wohlgefallen der Weiterbildungsbefugten abhängen, Approbationsordnungen, die nicht ausschließen, dass der Ausbilder auch der Prüfer im Staatsexamen ist. All dies macht unser Ausbildungssystem vom Studium über die Facharztprüfung bis hin zu Zusatzweiterbildungen anfällig für Dinge, die keiner gerne sagt, weil sie mit Druck ausüben, Machtspielen, Dulden und Ertragen und vor allem Schweigen zu tun haben. Und so lange das so ist, so lange wird sich nichts ändern. Und so lange muss ich allen meinen Famulantinnen beibringen: Halt dich von XYZ fern, geh nicht in die Abteilung ABC wenn du es dir aussuchen kannst, lass dich niemals erpressen sondern geh einfach woanders hin, die Stellenlage lässt es endlich zu. Keine von uns hat Lust, weiter zu schweigen, aber viele können nicht reden, weil es sie die Karriere kosten würde in unserem System. Und deswegen muss sich etwas ändern.

Ich danke an dieser Stelle dem Thieme-Verlag und dem eRef-Bereich. Wie ich seit einiger Zeit feststelle, muss es eine Verlinkung zu den Facharztprüfungsfragen geben. Erstaunlich, dass ein seriöses Portal ungefragt an ein Blog verlinkt, aber das nur nebenbei. Ich gehe davon aus, dass die Hälfte der Besucher von dort weiblich ist und damit auch auf dieses Thema stößt, also mache ich mir keine Sorgen, dass ich dafür Leser:innen finde…





Der Klimawandel und die Deutsche Diabetes Gesellschaft

26 05 2022

Derzeit läuft in Berlin die Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Sie vertritt die Diabetologen und interessierte Ärzte sowie über verbundene Organisationen auch Beratende Berufe und Patienten. Erstmals fand im Rahmen des Kongresses ein Forum zu Klimawandel und Diabetes statt. Ein Grund für mich, mich für diesen Vortragsblock zu entscheiden und ihm mit ca 250 anderen im Online-Livestream bzw. den Kollegen im Saal zu verfolgen. Meine Erwartung war: Infos zu Auswirkungen des Klimawandels auf die Erkrankung, die Rolle der DDG und wie man Praxen und Kliniken umweltbewusster gestalten kann.

Die Realität ist bekanntlich immer anders als man erwartet. Auch dieses Mal sollte die Regel zutreffen. Der erste Referent erschien gleich mal nicht, keiner wusste wieso. Ok. Bei den Moderatoren merkte man sofort: Es ist nicht ihr Thema, sie sind da so reingerutscht. Aber wenn einen das Leben oder die DDG an eine Aufgabe stellt, sollte man das beste draus machen. Denkt man. Der Moderator Dr. Alexander Risse hat sich die letzten Jahre viel mit Diabetischen Füßen befasst. Dieser Vortragsblock schien ihn allerdings auf dem falschen Fuß erwischt zu haben. Ich habe selten in Veranstaltungen erlebt, dass ein Moderator permanent bemüht war, entweder schlechte Witze zu machen (Humor und das Talent für das richtige Timing ist leider nicht jedem in die Wiege gelegt) oder aber das behandelte Thema schlicht ins lächerliche zu ziehen. Der Vortrag des zweiten Referenten war recht interessant. Seltsam aber die anschließende Diskussion. Man bemerkte, dass es auch für ihn offenbar noch nicht so lange ein Thema ist. Aber immerhin hat er sich als ehemaliger Präsident der DDG der Herausforderung gestellt. Doch bei der Frage einer Kollegin aus dem Chat kamen sowohl er als auch der Comedy-Moderator Dr. Risse an ihre Grenzen. Die Kollegin wollte schlicht wissen, ob es seitens der DDG schon Überlegungen gab zu den CO2-Fußabdrücken (das Wort bezog sich wohl auf einige Sätze im Vortrag zu den CO2-Fußabdrücken) des Kongresse als Live-Version, als wie dieses Mal durchgeführt Hybrid-Kongress oder reinem Online Kongress und ob es für die DDG bei künftigen Planungen eine Rolle spielen wird. Offenbar eine Frage mit viel berufspolitischem Hintergrund. Aber keine Herausforderung durch eine Frau ist für Männer am heutigen Herrentag so schwer, dass sie nicht bewältigt werden kann. Die Antwort des ehemaligen DDG-Präsidenten Dr. Siegel und des Moderators Dr. Risse kam in einem leicht abfälligen Lachen und dem Satz “Ja, die meisten Diabetologen fahren Rolltreppe auf dem Kongress.“ – Fremdschämattacken im Saal und offenbar an den Bildschirmen in Deutschland. Stärker hätte man seine Kompetenz bei dem Thema und die Bereitschaft der DDG sich mit aktuellen Themen zu befassen wohl nicht ausdrücken können.

Vielleicht sollte man den Hintergrund dazu erklären: Der Kongress hat große Sponsoren aus der Industrie. Diese sind mit einer Art Messehalle vor Ort, um an Ständen über ihre Produkte zu informieren und zu kommunizieren. Die Besucher zahlen eine Kongressgebühr, die so preiswert auch nicht ist. Sowohl vor Ort als auch online. Die Sponsoren können aber mit den Online-Teilnehmern nicht direkt ins Gespräch kommen. Ohne die Sponsoren wäre der Kongress für die Teilnehmer noch teurer. Man hatte das Gefühl, die DDG jagte jedes Jahr nach neuen Teilnehmerrekorden, vielleicht auch um für das Thema Diabetes eine politische Strahlkraft zu bekommen. Normalerweise sind etwa 6000 Teilnehmer (vor Corona) da gewesen. Jetzt bei reinen Online-Formaten oder Hybrid natürlich weniger (vor Ort, Gesamtzahl wohl identisch). Mal abgesehen von den Aspekten der Familie (Kinder, pflegende Angehörige), der Arbeit (Praxis zu, Urlaub nehmen in der Klinik) und der Zeit (Anfahrt und Abfahrt etc) ist da ja der ökologische Aspekt. Vor Corona kamen 6000 Leute mit Auto, Flugzeug oder Bahn, nutzten Hotels, Catering, die Kongresshallen hatten Rolltreppe, Klimaanlage, Sanitäranlagen etc. am Laufen, die Taxis fuhren ganztags, etc… Da ist die Frage nach einer CO2-Bilanz doch berechtigt. Immerhin stellen wir sie für Firmen, Urlaubsreisen, Kreuzfahrten, Autos und sonstwas auf. Wieso nicht auch dafür? Ich finde, der Umgang mit der o.g. Frage war absolut daneben und nicht zeitgemäß.

Den folgenden Vortrag sah man nur als Videoaufzeichnung des Referenten. Es war offenbar vergessen worden, im Vorfeld zu schauen, ob auch seine Folien überspielt wurden. Ist halt Herrentag heute… Dennoch waren die Worte des Kollegen um ein Vielfaches seriöser und zeigten ernsthafte Überlegungen, mit dem Thema Ressourcenverbrauch bei der Diabetesbehandlung umzugehen.

Die Kommentare aus dem Saal ließen mich als Zuhörer Hoffnung schöpfen. Es gibt Kollegen, die sich ernsthaft damit auseinander setzen und überlegen, wie man Verpackungsmüll reduzieren kann, Recycling verbessert oder sich trauen, der Industrie zu sagen, dass auch sie gefragt sind, an Verbesserungen zu arbeiten. Kollegen, die eben bereit sind, Dinge zu verändern, zu verbessern. Aber die saßen im Saal und schienen dem Raunen nach sichtlich enttäuscht von der Show vorne. Letztlich kam aus dem Saal von einem Verantwortlichen der DDG der Vorschlag eine Arbeitsgruppe oder ein Gremium zu gründen. Frage des Moderators Dr. Alexander Risse “Wir haben schon über 20 Arbeitsgruppen, ist das denn nötig?“ Im Saal wurde es laut, der Kollege mit dem Vorschlag entschied ja. Erstaunlich, hätte man nach der seltsamen Show nicht mehr erwartet. Daraufhin verabredeten sich -hauptsächlich männliche – Kollegen im Saal sofort nach der Sitzung die AG zu gründen. Ich frage mich, ob die Frauen, die im Chatroom ebenfalls ihr Interesse bekundeten und auch mitteilten, dass sie bereits vor einiger Zeit die Gründung erfolglos anregt hatten, jemals zum Zuge kommen werden. Kommentar von Dr. Alexander Risse “… da kommt ne schöne depressive Truppe zusammen…“ und “… machen wir was schönes katastrophales…“ und “…bei der nächsten Sitzung machen wir dann wieder etwas Weltuntergang…“ Wem an dieser Stelle die Worte fehlen, sei gesagt, dem Co-Moderator Dr. Martin Schulz ebenfalls. Sein Fremdschämen war kaum zu übersehen. Fremdschämen war in dieser Sitzung wohl eine der Hauptbeschäftigungen des Live- und des Onlinepublikums… Leider wollte ausgerechnet Dr. Risse mit in die Arbeitsgruppe. Meine Erwartungshaltung an die AG habe ich augenblicklich nach unten korrigiert. Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren, bin aber Realist… Und dieser verleiht Herrn Dr. Alexander Risse an dieser Stelle die Hölzernen Nüsse für sein fehlendes Bewusstsein zum Thema, seine antiquierte Haltung und das herablassende Verhalten, das möglicherweise seine Unsicherheit beim Thema überspielen sollte, sowie das Ignorieren der Kommentare der weiblichen Online-Teilnehmer, die sich zur Mitarbeit meldeten.

Es bleibt zu hoffen, dass das Engagement einzelner in der AG gebündelt werden kann und nicht durch schlechte Witze und männliche Eitelkeiten blockiert wird und für die Ärzte, Berater und die Patienten Vorschläge für einen „Green-Diabetes“ (und ich meine nicht nur Green-Washing), Verbesserungen für Abläufe in Praxen und Kliniken und medizinische Forschung zu Diabetes und Klimawandel gemacht werden.

Herrn Dr. Risse wünsche ich einen schönen Ruhestand und verbleibe mit dem Zitat “Schuster bleib bei deinen Leisten“ – in seinem Fall dem Diabetischen Fuß. Der braucht auch Engagement in den nächsten Jahren und es gibt bestimmt viele zynische Witze, die man darüber machen kann und die er noch nicht gebracht hat. Für das Thema Klimawandel gibt es genügend motivierte und verantwortungsbewußte Kollegen, die gerne mitmachen und sich schon eine Weile damit befassen. Denen wünsche ich viel Energie und bin offen für und gespannt auf Eure Vorschläge.





Biontech-Blockade für die Booster-Kampagne

20 11 2021

Und was sagt der Verursacher Herr Spahn? Laut dpa “Ich weiß, dass diese kurzfristige Umstellung für viele engagierte Helferinnen und Helfer vor Ort in den Arztpraxen und Impfzentren viel zusätzlichen Stress bedeutet. Und das bedauere ich ausdrücklich.“

Japp, dafür können wir uns jetzt alle was kaufen. Es hilft weder uns Hausärzten, noch den MFAs, noch den Patienten. Wir werden am Ende der Woche sehen, ob das Glück gereicht hat, dass alle Praxen unverletzt aus den Terminverschiebungen kommen. Ein Minister hat seine Bodyguards. Wir haben niemanden, der uns schützt. Wir stehen allein dort an der Anmeldung und müssen uns anschreien, anspucken, bedrohen und beschimpfen lassen und wenn dann einem die Sicherung durchbrennt und er aggressiv wird und körperlich angreift, dann kommt noch nicht mal die Polizei. Das ist unsere Erfahrung. Ich bete zu Gott, dass all unsere Patienten die Ruhe behalten und nichts passiert. In dieser Situation nützen uns auch keine Deeskalationskurse, denn solange das Anliegen unerfüllt bleibt, wird seine Aggression nicht verschwinden.

Also hofft alle mit uns, dass wir unverletzt bleiben und behaltet bitte die Ruhe. Der Schuldige sitzt in Berlin und nicht hinter dem Tresen Eurer Hausarztpraxis.





Spahn‘s Biontech-Blockade – ein möglicher Hintergrund

20 11 2021

Wenn man sich als Hausarzt fragt, was Spahn‘s letzte Rache an uns Hausärzten für einen Hintergrund hat, kommen verschiedene Ideen, die in die Gesprächsrunde geworfen werden: “Er hasst uns doch sowieso, hat er schon immer getan…“ oder “Der denkt eh nicht nach…“ oder “Hauptsache sein Maskendeal steht, wer weiß…“ und noch mehr Vorschläge. Als Hausarzt googelt man dann schnell nach den Lieferprognosen der Bundesregierung. Und siehe da… man kommt der Sache ein Stück näher…

Und während uns als Hausärzten alle Planungen bis Jahresende geschrottet werden, gehen etwa 8,7 Mio Dosen Biontech, also alle November-Lieferungen in die Covax-Initiative. Ich nehme mal an, wenn das publik wird, wird dieses Ansinnen in der Bevölkerung nicht besonders beliebt sein. Wir haben etwa 50 Millionen Menschen mit Biontech erst- und zweitgeimpft. Die Deutschen haben Vertrauen in den Impfstoff, er wird in Europa produziert und wurde hier entwickelt. Mehr kann man sich doch angesichts der Probleme mit dem Image der Vektorimpfstoffe in Deutschland eigentlich gar nicht wünschen. Dieses Vertrauen, das ein Patient darin hat, gibt er mündlich an seine Umgebung weiter. Das könnte uns helfen, die Impfquote insgesamt zu steigern. In unserer Praxis stellen wir jeden Tag fest, dass die Menschen gerne wieder mit dem gleichen Impfstoff geimpft werden wollen, den sie beim ersten Mal hatten – abgesehen von den Vektorimpfstoffen. Genau deswegen, weil wir ihnen sagen konnten, ja Sie bekommen Biontech bei uns, haben die sich erst angemeldet für die Boosterimpfung. Das ist eines der Argumente, mit denen wir hätten jetzt den Impfturbo tatsächlich zünden können. Wer möchte, dass Menschen sich impfen lassen, muss sie als Menschen betrachten, nicht als Objekt, das in Zahlen ausgedrückt wird. Genau da werfe ich Herrn Spahn als gelernten Kaufmann vor, dass er so denkt. Und so hat er die ganze Zeit seine Kommunikation ausgerichtet, von Anfang an. Aber wir kaufen bei ihm keinen Bausparvertrag! Das muss er mal irgendwann verstehen. Zum Ende seiner Amtszeit scheint er wie ein kleiner beleidigter Junge zu agieren, den man nicht mehr weiterspielen lässt, jedenfalls wenn man seine Reaktionen im Oktober und diesen Quatsch jetzt betrachtet. Allein in meiner Praxis sind es bisher (!) etwa 250 Termine und weitere freie Blöcke zum Terminieren, die wir absagen können bzw. wo wir jeden einzelnen jetzt fragen müssen, ob das ok wäre, wenn er Moderna bekommt. In der Realität einer Hausarztpraxis heißt dass, dass wir nicht täglich kleine Blöcke nebenbei impfen können mit 6 oder 12 Patienten und zweimal die Woche größere Aktionen an den Sprechstundenfreien Nachmittagen, sondern dass wir jetzt immer 20 Patienten nacheinander impfen müssen. Dafür reicht unser Wartezimmer gar nicht und die Kapazität unserer Mitarbeiter auch nicht. Ich schätze, dass man vielleicht pro Termin 10 Leute zusammen bekommen wird, die Moderna nehmen, die anderen werden beleidigt gehen und entweder auf einen neuen Termin warten (was die Impfkampagne verzögert) oder sich gar nicht mehr boostern lassen (was fatal wäre). Es sind Menschen, die Diskussion läuft seit Monaten auf einer emotionalen Ebene, also was erwartet dieser Herr Spahn? Naja, unterm Strich werden dann die im Februar verfallenden Impfdosen nicht zentral entsorgt, sondern einzeln in den Hausarztpraxen im Land. Dafür soviel Aufwand…

Mal ehrlich: Wäre es nicht wesentlich sinnvoller gewesen, die 8,7 Mio Dosen Biontech in die Arztpraxen zu geben und in die Impfzentren, damit hätten wir knapp 1/3 des Ziels erreicht. Und die Nachlieferungen der Moderna-Dosen, die im November kamen, die hätte man doch an Covax geben können, das wären sogar 10 Mio gewesen. Wir hätten logistisch die Hausärzte entlasten können, in dem man sagt: Biontech für die Praxen, Moderna für die Impfzentren und die Menschen hätten sich von ganz allein aufgeteilt, je nachdem was sie wollen bzw. auch wenn es ihnen egal wäre, welchen Impfstoff sie beim Boostern erhalten.

Auf die Studien mit den Antikörper-Titern schaut primär erstmal keiner. Natürlich sind die mRNA Impfstoffe austauschbar und das überkreuzte Impfen kein Problem, gibt ungefähr die gleiche Antwort, manchmal mit Überkreuzen sogar besser. Aber wir sprechen hier von emotionalen Entscheidungen der Bevölkerung in einer angespannten, teilweise aufgeheizten Situation. DA MUSS MAN MAL DENKEN BEVOR MAN SO EINEN VERDAMMTEN BOCKMIST ANRICHTET und die ohnehin überlasteten Hausarztpraxen an den Rand des Wahnsinns treibt. Immerhin haben wir bis zu dieser Woche immer 2 Wochen im Voraus planen müssen, das heißt, die Termine für die Impfungen stehen dann längst. Das einzige, was Herr Spahn damit anrichtet, ist dass uns die MFAs scharenweise weglaufen, weil sie das nicht mehr ertragen, dass Hausarztpraxen konsequent auf Boostern verzichten, um einfach mal wieder halbwegs normal zu arbeiten und dass die Bevölkerung nicht bis Jahresende zum großen Teil die Boosterimpfung hat, sondern wir zum Beispiel für unsere 250 Patienten mit Termin nicht 2 Wochen brauchen sondern 8 Wochen. Gratulation, so geht man als Minister und hinterlässt verbrannte Erde. Egal wer kommt, es möge irgendwie besser werden…





Die hölzernen Nüsse November 2021

20 11 2021

Herr Spahn mit seinem Zitat über langsam impfende Hausärzte (Frauenanteil deutlich über 50%) war dicht dran. Aber wie es manchmal im Leben so ist, kommt dann einer und schnappt dir die Trophäe vor der Nase weg…

https://www.zeit.de/news/2021-11/17/hausaerzte-empoert-ueber-laumanns-spruch-impfen-statt-golfen?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.de

Die hölzernen Nüsse im November 2021 gehen nach NRW, genauer an den Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) für das Zitat „Statt Golfplatz am Samstag Impfen am Samstag.“ Herzlichen Glückwunsch für soviel Boshaftigkeit und Diskriminierung. Lieber Herr Laumann, wie wäre es mit #einfachmalneschichtmachen in der Hausarztpraxis? Ich nehme an, es wird Ihnen als vielbeschäftigter Mann lächerlich vorkommen, wenn ich Ihnen sage, dass die meisten Hausärzte inzwischen 4 oder 5 lange Tage machen, heißt Vormittagssprechstunde plus Nachmittag für Sprechstunde oder Impfen. Dazu kommen Hausbesuche, Dienste, Behördenanfragen (braucht so 20-30 min bis Postfertig und man rechne so 3-4 Stück pro Woche), Telefonsprechstunde für Infektpatienten, die jämmerlich nicht funktionierende Telematik-Infrastruktur in Dauerwartung mit dem Rohrkrepierer KIM-Dienste. Naja, nehmen wir mal an, man hätte doch Zeit, dann geht leider momentan das ganze schöne viele Geld, mit dem wir Hausärzte reich werden und unseren Mitgliedsbeitrag im Golfclub und die Ausrüstung bezahlen könnten, für horrend gestiegene Materialkosten drauf. Eine Packung Handschuhe kostet 8-10 Euro im Einkauf. Wechselt man konsequent die Handschuhe nach jeder Spritze und Blutabnahme, reicht es für 50 Patienten, also für einen MItarbeiter 1-2 Tage je nach Arbeitsanfall. Selbst wenn wir da sparen würden, pulvern wir leider eine Menge in diesen Telematik-Quatsch, der keinem was bringt. Wir bezahlen doppelt so viel, wie die KVen Kostenerstattungen machen. Also tragen wir 50% der gesamten Umstellungskosten. Sie sehen, selbst wenn ich Golf spielen könnte und es mal gelernt hätte, ich wäre nicht in der Lage, den Eintritt in die Welt zu zahlen, in der Sie offenbar verkehren. Ich verbringe übrigens den Samstag entweder bei Fortbildungen (wegen der Coronapandemie, die Verantwortliche wie Sie leider immer noch nicht in Griff bekommen haben, meist derzeit nur online) oder beim Einkaufen und Haushalt machen. Letzteres schaffe ich leider nicht, wenn ich abends um 19.00 Uhr die Praxis verlassen habe. Da reicht die Zeit nur noch zum bloggen über Hölzerne Nüsse und so Kram. Impfen mache ich übrigens 4-5 Tage pro Woche in der Praxis. Ach ja “Ich spiele gar kein Golf“. Also mein Vorschlag für Sie: statt Golfplatz am Samstag mal Realität erleben am Donnerstag. Und falls Sie am Donnerstag keine Zeit haben, zu Ihren Hausarzt zum Impfen zu gehen, dann bin ich mir sicher, es findet sich jemand, der Sie und Ihre Freunde der gehobenen Gehaltsklasse auch in gewohnter Umgebung auf dem Golfplatz impft. Das Impfen in gewohnter Umgebung soll ja durchaus das Level der Stresshormone senken, gerade bei Menschen, die Angst vor Ärzten haben, selbst auf Golfplätzen….





Fatales Nichtstun am Rand des Abgrunds

20 11 2021

Momentan erleben wir die Epidemie in voller Breite von hausärztlicher Seite. Während wir in den ersten 3 Wellen pro Welle insgesamt von mehreren Fällen in einer Praxis sprachen, sieht die Sache derzeit deutlich anders aus. Im Oktober hatten wir etwa einen Fall jede Woche, das fanden wir viel. Doch jetzt hatten wir diese Woche in unserer kleinen Praxis bereits 3 Fälle. Damit wird die neue Höchstzahl mit über 1000 Infektionen in MV für uns selbst spürbar. Viele Kollegen wähnten sich immer weit weg, hatten in unseren Breiten genau wie wir wenige Fälle. Wenn es jetzt jedoch noch mehr werden, dann bekommen wir ein Problem. Wir fahren Normalbetrieb, impfen dazu gegen Grippe und jetzt auch in (wenn Spahn es nicht gerade an die Wand fährt und den Impfstoff wegstreicht statt die Aufgabe von nationaler Tragweite anzugehen und dabei die Befindlichkeiten der Menschen zu beachten) großem – für uns großem – Ausmass die Boosterimpfungen. Mein Motto ist: Jeder geimpfte oder geboosterte trägt es nicht herum…

Die Kollegen in den Kliniken, vor allem in anderen Bundesländern, sind kurz vor dem Kollaps. Während wir 2020 nach Italien sahen und es fern war, wenn im Eingangsbereich von Kliniken blitzeblaue Menschen nach Luft rangen und kurz darauf starben, da ist es jetzt hier angekommen. In ein bis zwei Wochen – sprich zu Beginn der Adventszeit – werden wir in den ersten Landkreisen Verhältnisse wie einst in Norditalien haben. Doch dort hat man gelernt und ist vor allem in der Kommunikation über die Impfung anders mit den Menschen ins Gespräch gegangen als hierzulande – Impfquote um die 80%… Ich weiß nicht, ob es jemand versteht da oben, aber in unseren Kliniken ist das Personal am Ende nach 1,5 Jahren Katastrophenmodus. Wer nicht schon krank ist, arbeitet für die kranken Kollegen mit. Wie lange soll das noch gut gehen?! Und na klar sind die sauer, dass die Leute sich nicht impfen lassen, denn auf den Intensivbereichen liegen überwiegend ungeimpfte Patienten. Vermeidbare Tote. Und die lebenden blockieren Betten für die Routinefälle, die eine HerzOP bräuchten, aber wegen mangelnder ITS-Kapazität nicht operiert werden können. Und wenn jemand noch vor der Herz OP an einem Infarkt stirbt, dann zählt es in eine andere Statistik. Aber Corona hat auch ihn irgendwie getötet. Kann mir jemand folgen? Durch all das, was gerade passiert, werden Familien auseinander gerissen. Wird Weihnachten nie wieder das selbe sein wie vorher, werden Kinder zu Halbwaisen und Enkel verlieren Oma oder Opa viel zu früh. Wollt ihr das alles so?

Das Fatale Nichtstun kurz vor dem Abgrund läuft gerade in Berlin. Während sich die Damen und Herren der Ampel-Riege gerade gegenseitig die Füße küssen und in Gesprächskreisen vor sich hin verwelken, liegt dieses Land in einem gefährlichen Koma. Wir rasen mit tausend Sachen auf den Abgrund zu und niemand tut etwas dagegen. Die kommissarische Noch-Regierung würde prinzipiell wohl gerne – wie bei jedem Regierungswechsel zuvor – ein Trümmerfeld zum Aufräumen hinterlassen gespickt mit Tretminen aller Art. Aber das geht dieses Mal nicht, denn man merkt wohl selbst, dass es nicht gut wäre… Also während die kommende Regierung noch im Rausch der Glückseligkeit der gewonnenen Wahl vor sich hin verhandelt, muss die alte Regierung irgendwie den Spagat schaffen zwischen dem, was man gerne würde und dem was die kommenden wollen… heraus kommt kaum was brauchbares. Das Auslaufen der Epidemischen Notlage zum 29.11.21 ist wohl die derzeit größte Fehlentscheidung. Während sämtliche Arztverbände dagegen Sturm laufen, juckt es niemanden. Klingt nach einer künftigen Tretmine. Da dürfte sich die scheidende Regierung durchaus in den Geschichtsbüchern einen der entscheidenden Schritte für den Schwarzen Winter 2021/22 vorwerfen lassen müssen.

Eine zweite große Fehlentscheidung aus ärztlicher Sicht wohl gewesen, vor einigen Monaten im Überschwang der abklingenden dritten Welle zu sagen “Nie wieder Lockdown“. War absehbar, dass das zu früh kam. Kam bei vielen wohl so an, dass sich die anderen schon impfen lassen und Lockdown kommt eh nicht mehr, also wozu dann impfen? Noch größer bzw. schlimmer finde ich die Unfähigkeit, oder sollte man eher sagen die volle Hose, wenn es darum geht, jetzt einfach mal den Rücken gerade zu machen und als amtierende Regierung einen Lockdown zu fahren. Wenn wir zwei Wochen warten, kommt er zu spät. Wer glaubt, dass er in Deutschland nie Zustände wie in Italien, Spanien, England oder damals Portugal sehen wird, der irrt. Man kann nur hoffen, dass es irgendwie nicht die eigene Region ist. Doch leider sieht die Karte mit den Zahlen anders aus. Schön war der Sommer mit der kurzen Pause. Damals im Strandkorb dachte ich, es ist so schön dieser Moment und ich habe gespürt, dass ich diesen Moment wirklich genießen musste, denn eine Ahnung war da, dass das damals in Zahlen kleine Delta uns überrollen wird. Ich hoffte, mich zu irren…. eigentlich hatte ich mit verschärften Massnahmen Ende September gerechnet… aber dieses Machtvakuum bietet Corona viel Raum. Es wäre vielleicht vernünftig gewesen, wenn man sich geeinigt hätte, dass währen der Übergangsphase der Kurs der alten Regierung komplett weiter gefahren wird. Denn die Regierungsbildung kann sich noch einige Zeit hinziehen. Ich glaube, wenn man nicht bald entscheidende Dinge ändert, dann kann sich zwar die neue Regierung bilden, wird aber am Schwarzen Winter scheitern und wir haben im Frühjahr wieder Wahlen…

Was wäre jetzt angezeigt? Aus meiner Sicht ein paar Dinge, damit wir wenigstens vor Weihnachten einen Schritt vom Abgrund weg erfolgt.

  1. Sofortiger Entscheid, dass die Epidemische Notlage bis mindestens 31.5.22 verlängert wird
  2. Sofortiger Lockdown mit 2G für Geschäfte, Absage von großen Veranstaltungen, generelle Maskenpflicht in Innenräumen auch bei Veranstaltungen, Homeoffice, Homeschooling an betroffenen Schulen für Ungeimpfte Kinder zu deren Schutz, Kitas wieder mit entsprechenden Vorkehrungen, usw.
  3. Boosterimpfungen bis Jahresende mit Verpflichtung der Länder die Impfmöglichkeiten innerhalb von 7 Tagen zu verdoppeln. Für die Adhärenz und die Logistik in den Praxen wäre es mehr als sinnvoll, ausreichend Biontech zur Verfügung zu stellen. Es macht wenig Sinn, knapp 50 Millionen mit Biontech zu impfen, aber mitten im November über 8 Millionen Biontech Dosen ins Covax zu geben, statt dafür Moderna in gleicher Höhe dafür zur Verfügung zu stellen. Menschen haben Vorstellungen, Emotionen, Prägungen, solange das nicht berücksichtigt wird, ist jede Booster-Kampagne nicht ins Laufen zu bekommen.
  4. Gesundheitsämter wie in der dritten Welle umgehend verstärken mit Hilfe anderer Behörden und Bundeswehr-Amtshilfe. Es ist nicht die Aufgabe der Hausärzte, neben all den anderen Dingen auch noch die Kontaktverfolgung zu machen. Und es bringt wenig Sinn, wenn die Quarantäne-Anordnung erst nach 4-5 Tagen kommt…
  5. Auch der Hausärzteverband bzw. die Landesverbände müssten mal überlegen, bevor sie was sagen. Wie kann man davon ausgehen, dass die Hausarztpraxen das ganze Boostern alleine schaffen??? Wer sitzt da und kann nicht rechnen? Durch diese Haltung fehlte sicherlich auch die mediale Kampagne in Sept und Oktober. Wir sind den Leuten damals mit den Impfungen hinterher gelaufen, aber keine wollte. Tja und jetzt…

Schließlich ist die Frage, was man selbst tun sollte. Mit einem Wort: Einigeln. Je weniger Kontakte, desto besser. Schnelltests immer wenn man sich trifft, und zwar für alle, die da sind. Impfen natürlich. Und klare Linie fahren, z.B. statt höflich zu ertragen, dass der Besucher ungeimpft ist und sich großkotzig aufführt, würde ich ihn einfach genauso höflich ausladen. Wenn das alle tun, lösen sich manche Dinge durch den Druck des Umfelds von allein. Statt CampDavid T-Shirt um dazu zu gehören, will man dann vielleicht endlich die Impfung, weil der Freundeskreis sich so langsam verkleinert… Und sich stets die Frage stellen: Muss das jetzt sein? Muss ich ins Konzert/Kino/Fußball? Wäre es mir das wert, dafür an Corona zu erkranken oder im schlimmsten Fall dafür mit ernsten Problemen zu kämpfen?

Wir kommen nur vom Abgrund weg, wenn jeder für sich selbst Verantwortung übernimmt und nicht hofft, es wird ein anderer lösen – ob nun beim Thema Impfen oder beim Entscheid über Lockdown und Epidemische Notlage. Am Ende muss sich jeder fragen, was hast du 2021 getan, als der Schwarze Winter war, Opa, hast du geholfen?





Spahn zerstört Impf-Turbo

19 11 2021

Während wir Hausärzte deutschlandweit dieser Tage pro Praxis hunderte Termine für Booster-Impfungen machen und eigentlich froh waren, dass in all dem Chaos, der politischen Schwebesituation und der explodierenden vierten Welle wenigstens eins sicher schien: dass wir genügend Impfstoff bekommen und zwar den, den wir haben wollen, fällt mit einem Satz alles in sich zusammen. Der Impf-Turbo ist heute nachmittag gestorben. Wir dachten, es wäre jetzt endlich alles normaler und einfacher geworden. Denn es lagern – so wurde zumindest gesagt und gezählt – Millionen Dosen in den Lagern, Biontech und Moderna. Bis heute am späten Nachmittag. Da ließ der scheidende Gesundheitsminister eine Bombe platzen: Die – von ihm vor kurzem als viel zu langsam beim Impfen titulierten – Hausärzte bekommen pro Woche ab sofort nur noch 30 Dosen Biontech, pro Impfzentrum gibt es nur noch 1020 Dosen. Bumm. Stille…

Begründung für diese Festlegung: Es lagern etliche Dosen Moderna, die im Februar ablaufen. Und die sollen raus. Deswegen sollen die doofen Hausärzte, die jetzt schon bis Jahresende die Terminbücher mit Auffrischungen zugeplant haben (immerhin, wir sind zwar lahm Herr Spahn, aber nicht unfähig den Abstand von 6 Monaten auszurechnen), ihre Planungen komplett ändern. Statt 6er-Blöcken Biontech, dann 20er Blöcke Moderna. Und das wo die Patienten bei Terminvergabe gesagt bekommen wollen und haben, was wir impfen: Biontech.

Was sind die Konsequenzen aus dieser Spahnschen Verbalentleerung? Die Hausärzte werden etliche Absagen bekommen, von Patienten, die Biontech wollten, weil sie es die ersten beiden Male hatten, und das waren in der Regel die meisten, die wir geimpft haben und anteilig an der Gesamtmenge der geimpften auch die größte Zahl. Zweitens werden die Hausarztpraxen umgehend die Terminvergabe stoppen, wenn sie wie meine Praxis das drei- bis vierfache pro Woche verimpfen wollten und dafür extra Termine verschoben haben und die komplette Praxislogistik danach ausrichten, diese Aufgabe zusätzlich zu schaffen. Das wird was zur Folge haben? – Genau: verbale und körperliche Gewalt in Arztpraxen gegen Ärzte und vor allem die MFAs. Das geht auf Ihre Kappe Herr Spahn! Unsere MFAs haben seit Beginn der Pandemie großartiges geleistet, haben 50% der Pandemie gestemmt mit uns, denn die meisten Patienten werden ambulant behandelt und die Test- und Impflogistik liegt auf unseren Schultern. Und was tun Sie? Neben viel Nichts, noch mehr Chaos, richten Sie jetzt an, dass man uns attackieren wird. In MV hat das Landesgesundheitsamt einen Brief an alle über 70jährigen rausgeschickt, dass sie sich in den Praxen melden sollen, um einen Impftermin zu vereinbaren. Und ja, die Menschen kommen. Sie müssen ja auch zu uns kommen, weil die Impfzentren auf Minimum fahren, bei uns zum Beispiel nur halbtags – das macht vier Stunden Wartezeit für eine Impfung. Wir haben in unserer Praxis die Kapazitäten massiv hochgefahren. Ach ja – übrigens auch heute vormittag nochmal dutzende Termine geschaffen, die vergeben werden sollen. Denn gestern Abend sagte unsere Noch-Kanzlerin mit den anderen Herrschaften live im TV, dass wir eine nationale Kraftanstrengung vollbringen sollen und bis Jahresende 30 Millionen Menschen geimpft werden sollen mit der Booster-Impfung und dass wir Hausärzte dabei eine entscheidende Rolle spielen. Und heute, keine 24 Stunden später kommen Sie und spucken uns bildlich gesprochen mitten ins Gesicht. Danke. Ich kann nicht sagen, dass ich bedauere, dass Sie demnächst etwas mehr Freizeit haben. Aber die könnten Sie sinnvoll nutzen: Kommen Sie in eine Hausarztpraxis in MV und erklären mir zum Beispiel mal, wie ich jetzt von all den Biontech-Willigen, die die erste und zweite Impfung mit Biontech erhalten haben und auch die Auffrischung gerne damit bekommen möchten (sie sind freiwillig gekommen ohne dass Sie eine riesige Bettel-Impf-dich-doch-Kampagne starten mussten), weil sie es vertragen haben und dem Impfstoff vertrauen – ja wie ich denen erklären soll, dass jetzt von über 70 Terminen in der Woche mehr als die Hälfte wegfällt? Soll ich jetzt auslosen, wer geboostert wird und besseren Schutz gegen Delta hat? Und nein, ich rede tatsächlich nur von Menschen aus der zuerst aufgerufenen Zielgruppe ab 70 bzw. Immunsupprimierte etc. Davon haben wir hier in MV reichlich.

Hat Herrn Spahn eigentlich mal jemand gesagt, wie völlig unfähig seine Kommunikation ist? Es ist doch logisch, was jetzt passieren wird, wenn es heißt, nein kein Biontech mehr für Hausarztpraxen bzw. begrenzte Minimalmengen. Dafür muss endlich das Moderna weg, das verfällt demnächst… die Menschen in diesem Land werden denken, Sie Herr Spahn wollen ihnen die Joghurt- Reste aus der Kurz-Vor-Ablauf-Truhe im Aldi verkaufen und damit einen guten Impfstoff im Ruf “ermorden“. Ich hoffe sehr, dass der Hersteller von Moderna es sehr schnell merkt und mit einer Image-Kampagne gegensteuert und was mich noch mehr freuen würde, wenn er Sie dafür in finanzielle Verpflichtung nehmen würde. Vielleicht denken Sie dann mal nach BEVOR Sie etwas sagen. Es hat sich oftmals als sehr nützlich erwiesen, wenn man an so entscheidenden Positionen sitzt wie ein Minister…

Also ab heute Verwirrung bei den Menschen, Angst sie werden nicht geimpft, in der Folge Aggression und Kampf um den Impftermin mit dem gewünschten Impfstoff und ab Montag Chaos in den Praxen, weil niemand weiß, ob und wieviel Impfstoff kommt, reihenweise Terminverschiebungen, extrem mehr Aufwand für das Personal (die Zeit könnten wir besser mit Impfen verbringen) und Vergabestopp bei den Impfterminen.

Fazit: Die gestern verkündete Beschleunigung der Booster-Impfkampagne ist nach nicht einmal 24h gestorben. Wir haben so definitiv keine Chance, es zu schaffen, bis Jahresende 30 Millionen Menschen zu boostern, um die vierte Welle abzuschwächen. Es wird vermeidbare Tote geben, für die ich Herrn Spahn verantwortlich mache und fordere, dass umgehend geprüft wird, ob und wie diese Entscheidung gestoppt werden kann und ob sich Herr Spahn damit aufmacht, juristisch und politisch verantwortlich für die ungeboosterten Toten zu sein, die noch folgen werden. Die Entscheidung wird zudem zu massiver Aggression gegen Hausarztpraxen und deren Mitarbeitern führen, was angesichts des Hausärztemangels und des Mangels an MFA in vielen Regionen fatal sein dürfte. Am Ende werden immer weniger Praxen impfen…

Was können wir als Ärzte tun?

Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Ich fordere dazu auf, dass wir Praxen miteinander kooperieren. Da jeder Praxis 30 Dosen Biontech pro Woche zur Verfügung stehen sollen, wäre eine Lösung, dass wirklich jede Praxis diese 30 Dosen Biontech bestellt, auch Psychiater, Dermatologen usw. selbst wenn sie nicht selbst impfen. Die Dosen, die nicht verbraucht werden, dürfen seit einigen Monaten an andere Praxen weitergereicht werden. Also sollten die Kollegen, die nicht selbst impfen, mit impfenden Praxen kooperieren, die 30 Dosen Biontech bestellen und weiterreichen. Es hilft impfenden Praxen, die Termine aufrecht zu halten ohne dass viel umändert werden muss und so kann weiter möglichst schnell geimpft werden.

Eine Idee des Protests wäre es, konsequent deutschlandweit eine Woche Impfstreik zu machen… ich glaube, das könnte politisch ein Erdbeben auslösen. Aber helfen wir damit den Patienten wirklich? Die Medaille hat zwei Seiten… Vielleicht wäre ein Protest, dass wir unseren Patienten vorgefertigte Protestschreiben ausgeben, die sie an Herrn Spahn schicken, dann hat er noch was zu lesen, bevor er geht… also Kistenweise bis im BMG kein Flur mehr ohne gelbe Postkisten steht… Eine Online-Petition vielleicht? Aber was nützt es, wenn wir Hausärzte alleine kämpfen? Es braucht unsere Patienten, die auf unserer Seite stehen, statt uns an der Anmeldung anzugehen, wenn es demnächst Biontech nur für 30 Patienten in der Woche gibt.





Wir könnten es schaffen…

16 11 2021

…wenn alle mitmachen würden…

Ich versuche es mal mit wenigen Worten zusammen zu fassen. Booster-Impfungen sind wichtig und sinnvoll. Über den Sinn von Erst- und Zweitimpfungen brauche ich nicht mehr zu reden. Wer es jetzt nicht verstanden hat, der muss letztlich damit leben, zum einen eventuelle Folgeschäden lebenslang zu behalten oder andere anzustecken, dass es ihnen droht oder Menschen zu töten, ob er sie kennt oder nicht. Impfen ist, um es mit den Worten der Portugiesen zu sagen, eine bürgerliche Pflicht, damit wir unser Land, unser Leben und die Zukunft erhalten und unseren Kindern eine normale Kindheit zu schenken, wie wir sie auch hatten.

Israel hat es geschafft, mit Booster-Impfungen die vierte Welle in kurzer Zeit zu brechen. Sie haben innerhalb weniger Wochen 50% der Menschen mit der Booster-Impfung versehen.

Was ist die Booster-Impfung? Viele nennen es Auffrischungsimpfung. In Wirklichkeit ist es eine Verstärkungsimpfung. Es wird der Impfschutz verstärkt, indem durch die dritte Impfung ca 15x mehr Antikörper erzeugt werden als nach der zweiten Impfung. Damit erhöht sich die eigene Widerstandskraft gegen das Coronavirus und nach aktuellen Daten auch die Schleimhautabwehr gegen die Delta-Variante. Die Deltavariante ist nahezu zu 100% dominant in Deutschland. Sie hat gelernt, sich besser durchzusetzen, so dass wir jetzt genau das machen, was wir bei Tetanus, Diphtherie, Polio, FSME, Hepatitis B und anderen Impfungen machen: Wir erinnern das Immunsystem und sorgen damit dafür, dass die Antikörperproduktion drastisch erhöht wird. Klingt gut? Ist es auch. Auf dieses Weise haben wir es wie Israel in der Hand, die derzeit dramatische vierte Welle in kurzer Zeit zu brechen.

Und damit kommen wir zu einem Problem. Nein, Problemen… WIR, die Hausärzte, zu denen Assistenzarzt-Schreiberling inzwischen auch gehört, halten seit September Impfstoff vor, damit Menschen zum Auffrischen kommen, klären auf, und haben im September und Oktober schon reichlich Impfstoff entsorgt, weil die Nachfrage zu gering war, geringer als wir angenommen haben und geringer als gesund ist. Problem 1: Im September und Oktober hat es niemand für notwendig erachtet, den damals schon seit 6 Monaten geimpften zu erklären, warum es sinnvoll ist. Wir hätten schon 2 Monate lang systematisch boostern können. Jetzt räumt Delta die Altersheime leer und jeder da in Berlin, der es in der Hand hatte, breit angelegt zu kommunizieren via Medien muss sich die Frage gefallen lassen, warum das nicht passiert ist. Ihr habt es verpennt! Jetzt wo zum Beispiel hier in MV dutzende im Januar geimpfte Senioren in den Pflegeheimen gestorben sind und zum Teil durch (rücksichtslose) ungeimpfte Mitarbeiter angesteckt wurden mit Delta, da wacht man auf. Zu spät. Diese Menschen werden Weihnachten nicht mehr erleben.

Wie ging es weiter? Ganz plötzlich Ende Oktober kamen dann endlich mal klare Ansagen. Selbst die STIKO ist aufgewacht und hat mal einen Satz dazu gesagt. Und peng, man begann es zu kommunizieren, weil offenbar noch Leute da waren, die nicht in Koalitionsverhandlungen ihre Namen tanzen und den Bezug nach draußen in die echte Welt verloren haben. Nach zwei Monaten passierte dann endlich was. Ach ja und Herr Spahn fand sofort einen schuldigen Sünder… die Hausärzte. Sie waren zu langsam beim Booster-Impfen. An dem Tag wäre ich am liebsten nach Berlin gefahren und hätte diesem Herrn mal meine Meinung gegeigt. Wir stemmen neben den internistischen und intensivmedizinischen Kliniken die Epidemie. Wir machen Normalbetrieb + Coronafälle behandeln + Impfen gegen Grippe + Impfen gegen Corona und dieser Mensch wagt es sich so einen Satz zu sagen. Soll er mal einen Tag in einer vollen Hausarztpraxis in einem durchschnittlichen Stadtteil in MV mitmachen… Kommen wir zu Problem 2: Die Impfzentren hatten Verträge bis Ende September in vielen Bundesländern. Wurden dicht gemacht oder kleingeschrumpft. Es kam ja auch dort keiner zum Boostern in September und Oktober… und plötzlich Anfang November standen sie vor der Tür die Menschen und keiner war vorbereitet. Kommunen und Länder: Ihr habt es auch verpennt! Wir Hausärzte hatten ja ein wenig noch auf Lager, haben neben den Rest-Impfpraxen die Boosterungen endlich beginnen können und oh Wunder konnten weniger wegwerfen. Und haben begonnen Termine rauszugeben. Vor der Impfpraxis in unserer Kommune sind 4 h Wartezeit für 80 Jährige Satz. Nebenbei wird das auch die abschrecken, die sich zum ersten Mal impfen wollen. Jetzt werden wir bestürmt und fahren den Normalbetrieb, impfen gegen Grippe und haben auf Kosten unserer Familien und Gesundheit zunächst bis Weihnachten die Kapazitäten für Boosterimpfungen verdreifacht, also dreimal mehr als eigentlich geplant. Kommen wir zu Problem 3: Das Land MV war mit dem LAGUS so großzügig und hat begonnen, alle über 70 anzuschreiben und zur Boosterung einzuladen. Und schreiben rein sie sollen sich an den Hausarzt wenden. Die Impfzentren werden erst langsam oder gar nicht hochgefahren. Also in unserer Stadt impft man halbtags in der Impfpraxis… immer noch und es ist nicht geplant das auszudehnen. Geht ja auch nicht, weil man ja die Verträge hat auslaufen lassen. Wo will man so schnell Personal hernehmen, die jetzt schon woanders sind? Clever… im September wissen was kommt und alle gehen lassen und sich dann im November wundern, was nicht läuft und dann den Hausärzten die Sch… vor die Füße kippen… Die Impfhotline des Landes geht im Dezember wieder an den Start. Merkt man… oder? Schon wieder verpennt durch das Land und die Kommunen! Es geht jetzt die zweite Woche ins Land, wo Menschen geimpft werden wollen und Impfstoff da ist, aber nicht ausreichend Impfangebote da sind. Und nächste Woche wird es die dritte Woche sein. Und am Ende haben wir den November dann auch noch verpennt…

Ich finde das ist der größte Mist, der da auf allen Ebenen Bund- Land und Kommunen gerade gemacht wird. Und auf dem Rücken der Hausarztpraxen ausgetragen wird. Unsere Mitarbeiter sind Euch egal! Es sind unsere Leute, die ihr da gerade respektlos behandelt. Er schimpfen, dann nicht mal eure Fehler zugeben und schließlich einfach weiter nichts tun und bummeln. Schämt euch in Grund und Boden!

Was wäre aus Sicht der Hausärzte sinnvoll? Ein Schlachtplan, den kann man auch ohne Koalitionsverhandlungen hin bekommen. Da braucht es etwas Menschenverstand.

  1. Sofort die Bundeswehr, DRK, Johanniter, Malteser und THW zur Hilfe bitten und den eigenen Stolz mal hinter die Interessen der Mitbürger stellen, damit innerhalb von wenigen Tagen eine Infrastruktur geschaffen wird.
  2. Da die Räumlichkeiten inzwischen häufig anders genutzt sind: Umgehender Aufruf an alle Einkaufszentren und Sportzentren, die gut erreichbar sind, unkompliziert Räume zur Verfügung zu stellen.
  3. Lernen aus den Fehlern und die Impfzentren dort machen, wo Menschen hinkommen können: Einkaufszentren, Stadtteilzentren, Schulen, Sporthallen, Gemeindehäuser etc.
  4. Die Ärztekammern haben in der Regel Listen mit Kollegen, die sofort für Noteinsätze oder solche Dinge zur Verfügung stehen. Damit hat man zu Beginn der Pandemie begonnen. Nutzt unsere Infrastruktur und die Bereitschaft der Kollegen.
  5. Lernt aus den Fehlern. Statt Ärzten 200 Euro die Stunde zu zahlen, was viele Kollegen unverschämt fanden, zahlt den Kollegen faire Preise und dem medizinischen Personal mehr.
  6. Die KVen sollten sofort auf zusätzliche Dinge wie Prüfverfahren verzichten bis 50% der Erwachsenen die Boosterung haben.
  7. Die Öffnungszeiten der bestehenden Impfpraxen müssen sofort (eigentlich schon seit Anfang November fällig) auf ganztags erhöht werden statt stundenweise oder halbtags.
  8. Hausärzten, die nicht selbst impfen können, weil ihnen das Personal fehlt, sollten Impfteams bestellen können, die in ihre Praxis kommen und dort impfen. Die Termine können die MFA machen, das Impfteam dann die zügige Logistik zum Serie-Impfen.

Wir könnten es damit schaffen, bis Weihnachten die meisten geboostert zu haben, die bis Juli geimpft wurden und damit mehr als 50% der Erwachsenen und bis Weihnachten die vierte Welle in sich zusammen fallen zu lassen. Und das obwohl schon 2 Monate und 2 Wochen verloren sind.

PS: Impfskeptiker können sich Kommentare sparen, ich lösche sowieso alle raus. Das ist meine Meinungsfreiheit. Geht zu Facebook und kotzt euch da aus. Hier ist der Platz für die andere Seite, die Seite, die Menschen schützt und das Thema als gesellschaftliche Aufgabe sieht.