#metoo in der Medizin

8 03 2023

Ich weiß immer nicht, was ich sagen soll, wenn ich höre „Wozu #metoo – sowas gibts bei uns nicht“ oder „wir sind Ärzte, das macht keiner“ oder „wir sind alles gebildete Menschen, sowas brauchen wir nicht“. Meine Antwort darauf ist ganz klar: DOCH!

Ich beziehe mich jetzt – nur um es ganz klar abzugrenzen – auf das Verhältnis zwischen Ärzten und Ärztinnen und nicht auf Vorfälle mit Patienten. Die finde ich genauso verwerflich und strafbar. Ich möchte aber an dieser Stelle explizit dazu auffordern, dass wir Ärzte in unseren eigenen Organisationen Strukturen errichten, die es zum einen ermöglichen, dass anonyme Beratungen der Betroffenen erfolgen, dass präventiv strukturelle Änderungen geschaffen werden – sowohl in Kliniken, Praxen, MVZ aber auch in unseren ärztlichen Organisationen – und vor allem in Approbationsordnung und Weiterbildungsordnungen, dass es aber auch ermöglicht wird, dass Vorfälle verfolgt werden können, ohne dass Karrierestürze zur Bestrafung für die Betroffenen drohen, während Täter weiter in ihren Positionen verbleiben. Während ich dies schreibe, erscheint mir mein Wunsch nahezu unmöglich. Doch wenn keiner anfängt, das Thema anzusprechen, wenn niemand sich traut zu sagen, dass es in unserer Branche so etwas gibt, wenn niemand sagt, dass es Hilfe und Veränderung braucht, dann werden unsere Töchter genauso darunter leiden wie wir und wie unsere Mütter.

Ich war Studentin, gerade einmal 23, da bekam ich Differenzen mit meinem damaligen Doktorvater, für den ich auch HiWi-Dienste leistete. Es fiel irgendwann der Satz „Ich möchte keine Lippenbekenntnisse mehr, ich will einen Vertrauensbeweis!“. Ich fragte, wie er das meint. Ahnungslos, was da wirklich hinter stand, naiv wie man als junge Frau manchmal ist. Er antwortete „Genauso, wie ich es gesagt hab.“ Da mein Entschluss bereits stand, das dort alles hinter mir zu lassen, packte ich meine Kündigung auf den Tisch. Ich berichtete einem Kollegen von dem Gespräch, der etwas älter war als ich. Erst da begriff ich, welche Forderung da tatsächlich hinter stand.

Als Studentin im Chirurgie-Praktikum ging ich mit Kommilitonen die Treppe zur Kantine rauf. Ein Oberarzt ging hinter uns. Erst zog er mir an den Haaren, dann fasste er mir in BH-Höhe auf den Rücken. Ich drehte mich um, im Willen, demjenigen ein paar zu scheuern, als ich erkannte, es war ein Oberarzt, stoppte ich. Er lachte nur. Kein Wort der Entschuldigung, sondern der Satz, es hätte ihn so gelockt.

Während des PJs hatte ich schlicht Glück. Ich war in der uns allen verhassten Chirurgischen Klinik in einem Bereich eingesetzt, wo es keine Grapscher gab. In der Allgemeinchirurgie sah es anderes aus. Da versuchten die Mädchen ständig mit den Jungs zu tauschen für die OPs. Und es gab Ärzte die das gerne unterbunden haben, wenn sie es schafften. Hintergrund: Der PJ hält am OP-Tisch die Haken. Er ist steril, darf sich nicht bewegen und muss den Mund halten. Jedenfalls in der Klinik wo ich war. Er/sie kann sich nicht dagegen wehren, wenn ein Arzt mal gucken kommt, wie es läuft, der unsteril ist, also alles unsterile anfassen und sich bewegen darf, und den unsterilen Hintern einer Studentin anfasst, während er ihr über die Schulter guckt. Und alle schweigen – die OP-Schwestern, die das Problem kennen, die anderen Ärzte, die den Testosterongesteuerten Kollegen nur zu gut kennen, die Anästhesie, weil sie sich raushalten will und nicht zuletzt die Studentin, weil sie angeschrien wird, wenn sie wackelt, weil sie angeschnauzt wird, wenn sie was sagt und weil ihr sowieso keiner glauben würde und man beachte… weil sie genau diesen Arzt vielleicht fragen muss für ihre PJ-Bescheinigung oder vielleicht als Prüfer im Staatsexamen hat. Sollte das ein Kollege lesen, der selbst so eine unruhige Hand besitzt: Ich wünsche Ihnen nichts böses, weiß Gott nicht, das steht mir nicht zu. Ich hoffe für Ihre Tochter, dass sie den unbedingten Wunsch hat, Medizin zu studieren und sich nicht davon abbringen lässt und dann in eine Chirurgische Klinik eingeteilt wird, in der Sie keinen Einfluss haben. Sollte sich Ihnen gerade der Magen umdrehen, nehmen Sie eine Pantoprazol und denken mal stark über Ihr alltägliches Verhalten nach und lassen sich was gegen unruhige Hände geben.

Mir sind von Kolleginnen auch weit stärkere Übergriffe berichtet worden, Dinge, über die man kaum spricht, weil Aussage gegen Aussage steht, weil der Vorgesetzte das Weiterbildungszeugnis schreibt oder schlicht den OP-Plan beeinflusst oder den Dienstplan einteilt oder aber einfach einschüchternd genug ist. Unerwünschte Umarmungen, aufgezwungene Küsse oder deren Versuche, Brust anfassen beim Greifen nach etwas neben der Person. Es ist leider die Palette, die in jedem Unternehmen passieren kann, in jeder Einrichtung, egal wo und egal wann. Es ist immer das gleiche Spiel von Abhängigkeiten, Angst, Dominanz, Verleugnen und Schweigen derjenigen, die auf Augenhöhe mit den Tätern sind. Damals, als wir Studenten waren, haben wir die gehasst, die das taten (und mit wir meine ich meine Kommilitonen und Kommilitoninnen), wir waren Anfang-Mitte 20, die waren zwischen 40 und 60. Heute sind sie 60 und aufwärts und wir sind die zwischen 40 und 60. Wenn mir heute meine Famulantinnen von ihren Famulaturen erzählen, wenn junge Kolleginnen über solche Dinge heimlich berichten im Freundeskreis, dann bin ich entsetzt und denke, wir waren doch damals die, die es besser machen wollten… warum ist dann alles noch so wie damals?





Herrenwitz und toxische Männlichkeit mit Doktortitel

8 03 2023

Natürlich ist mir klar, dass ich mit Beiträgen wie diesen bei vielen die Illusion vom TV-geprägten Bild des edlen Mannes im weißen Gewand in Zweifel ziehe. Aber dieses Bild existiert tatsächlich nur in den Fernsehserien. In jedem weißen, oder fast weißen, Arztkittel steckt ein Mensch, männlich, weiblich oder divers. Und der männliche Mensch ist auch nicht anders als Akademiker anderer Profession, egal ob Ingenieur, BWLer, Lehrer oder Handwerker, Musiker etc. Fragt man seine Kolleginnen. Ich persönlich habe in über zwei Jahrzehnten alle Arten von männlichen Kollegen kennengelernt: liebe und nette Familienmenschen, die man einfach nur mögen muss, völlig karriereorientierte Typen, die mit dem Job verheiratet waren und sich für nichts anderes interessierten, und leider auch genügend Kollegen, die sich aus diversen Gründen ihren Kolleginnen gegenüber nicht besonders nett verhielten.

Thema: Catcalling und vergleichbare Anmachen

Wer glaubt, dass Ärzte das nicht machen, vergesst es. Stellt Euch vor, ihr seid Famulantin und euer Stationsarzt ist total nett, verheiratet, 2 Kinder, und dann kommt irgendwann aus dem Nichts so ein Spruch wie „na wenn ich noch jünger wäre, würde ich dich auch nicht von der Bettkante stoßen.“ oder „bei deinem Arsch solltest du dich nicht so viel bücken, sonst kann ich mich nicht konzentrieren“ oder „hast du nen Freund?“. Seid ihr drin in der Visualisierung der Situation? Mitten in der Stationsvisite oder im Arztzimmer? Ja? Dann versetzt Euch jetzt mal in die Emotion der Studentin im 4. Studienjahr, Anfang 20, die das von ihrem Stationsarzt, der ihr die Famulatur bescheinigen soll und über ihre täglichen Aufgaben entscheidet, Ende 30 zu hören bekommt. Wie reagiert man darauf? Schlagfertig? Liegt nicht jedem. Schweigen? Ihn darauf hinweisen, dass das gerade etwas zu weit ging? Hoffen, dass eine Ärztin das gehört hat und den Kollegen mal nett drauf hinweist? Mit welchem Gefühl geht sie nach Hause? Mit welchem Gefühl geht sie den nächsten Tag wieder hin? Ich lasse es mal so offen stehen…

Thema Herrenwitze

Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen über Jahre mit einem Kollegen zu arbeiten, der ein schier unerschöpflichen Vorrat an Herrenwitzen hatte. Leider brachte er sie irgendwann in Dauerschleife. Je schlechter seine Ehe wurde, desto mehr gab es davon zu hören. Vielleicht lag Ursache und Wirkung auch genau andersherum, wer weiß. Den Gipfel der Geschmacklosigkeit erreichte er gemeinsam mit zwei Vorgesetzten in einer Visite. Ich vertrat als Quotenfrau das weibliche Geschlecht mit Approbation. Es war außerdem noch eine junge Famulantin dabei, die gerade angefangen hatte. Nach einem Zoten-Warm Up während der Visite erreichte man den Höhepunkt vor einem Zimmer. Die Tür zum Zimmer der nächsten Patientin stand offen. Auf dem Flur saß ein neuer Patient. Wir standen um den Visitenwagen. Die Patientin war neu. Sie hatte eine schwere TumorOP im Gyn-Bereich in der Vorgeschichte. Es fiel der Satz „Naja, wie alt ist sie? Ach, da braucht sie das eh nicht mehr.“ Mein Puls ging hoch, ich schwieg, man korrigiert seinen Chef nicht ohne weiteres. Die Famulantin schaute verunsichert. Antwort meines geübten Kollegen „Ach, Chef, Sie wissen doch, auf alten Schiffen lernt man das Segeln!“ Eine Herrenrunde schüttete sich aus vor lachen. Vor offener Zimmertür, die Patientin hörte alles, unter Missachtung des Datenschutzes, vor einem neuen Patienten, vor einer jungen Frau Anfang 20. Nach dem Warm Up mit diversen Zoten in der Visite platzte mir der Kragen und ich schlug mit der flachen Hand auf den Visitenwagen. Ich sagte, das geht zu weit, die Tür steht offen, das ist respektlos und hier sitzen Patienten auf dem Flur und wir haben eine Studentin dabei, sowas gehört in die Eckkneipe, aber nicht in eine Chefarztvisite. Ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass die Patientin so gedemütigt wurde und alles hören konnte und niemand würde etwas sagen. Alles was mein Vorgesetzter fragte war, ob ich Feministin bin. Ich fragte, was es damit zu tun hat, ich habe einfach nichts übrig für Geschmacklosigkeiten gegenüber Patienten. Seine Nachbesprechung dazu diente wohl mehr dazu, sich zu versichern, dass es auf Station bleibt und nicht im Haus erzählt wird, oder hatte er wirklich ein schlechtes Gewissen? Keine Ahnung. Sollte sich einer der betreffenden hier wiedererkennen… ich empfehle zu schweigen und sich jede weitere Peinlichkeit der Offenbarung zu ersparen.

Natürlich ist dies exemplarisch herausgegriffen. Jede von Euch, die in Bereichen arbeitet, wo mehr Männer als Frauen sind, wird das in dieser oder ähnlicher Form vielleicht erlebt haben. Bei einem Frauenüberschuss habe ich das tatsächlich so gut wie nie erlebt. Auch Blondinenwitze sind immer wieder gerne genommen, gerade gegenüber jungen Kolleginnen, wenn ihnen Missgeschicke unterlaufen. Klar, es klingt wie ein Scherz. Sicher, man kann es als solchen abtun. Aber wenn es immer wieder vorkommt, stellt sich die Frage, ob dem Kollegen schlicht das Repertoire zu klein geraten ist oder aber ob eine gewisse Gewohnheit oder auch ein Muster dahinter steckt.

Thema PDE-4-Hemmer-Muster

Und? Wer von euch hat es erlebt? Es kommt ein Vertreter auf Station, es gibt einen neuen PDE4-Hemmer, neue Abpackung, Dosierung oder was auch immer und es gibt ein Muster. Der Kollege nimmt sein Muster an sich. Und hält dann die Hand auf und kassiert euer Muster ein bzw. Bringt die herzerweichende Geschichte von einem Freund, der dringend Hilfe braucht. Ich habe es mal fertig gebracht, das Muster, für das ich unterschrieben habe, in mein Fach einzuschließen und für Patienten aufzuheben. Ich wurde dafür zuerst mit der netten Geschichte bearbeitet, dann aggressiv angemacht, ich sei doch in keiner Beziehung (wobei ich meinen Beziehungsstatus nie öffentlich diskutiert habe), dann wurde er laut, schließlich war er kurz vor dem Toben und beschimpfte mich als gierig und Zicke. Ich finde, auch ein Arzt kann zum Urologen gehen, wenn er Erektionsprobleme hat und hat nicht das Recht, die Herausgabe von Mustern zu erzwingen. Seine Ehe konnten die Dinger auch nicht retten oder vielleicht haben gerade sie zum Ende derselbigen geführt, keiner weiß es.

Thema Einschüchtern und Ausgrenzen

Körpersprache ist bei Männern und Frauen verschieden. Auch innerhalb der Männer als Gruppe ist jeder individuell zu sehen. Und doch gibt es Muster, die bestimmte Männer immer wieder abrufen. Und sie tun es nicht nur zuhause, um sich in der Ehe durchzusetzen oder sonstwo, nein, sie tun es auf Station. Wer sich mit Körpersprache beschäftigt, kann so einiges beobachten. Ich habe mehrere Jahre in einem männlich dominierten Umfeld arbeiten müssen, teilweise als einzige Ärztin. Nicht leicht. Die Visiten zeigten oft ein eindeutiges Bild, insbesondere, wenn Kollegen anderer Fachrichtungen dabei waren. Selbst als Fachärztin wurde ich von vielen als „Beiwerk“ oder Sekretärin betrachtet, die die Akten tragen durfte. Das hab ich mir ziemlich schnell abgewöhnt. Zwischen nett und hilfsbereit bis zu ausnutzen ist ein schmaler Grat. Vor den Zimmern bildeten die Männer regelmäßig von ganz allein einen Kreis zum diskutieren. Ich stand mit der Stationsschwester als Frauen außerhalb. Man bezog uns schlichtweg nicht in die fachliche Diskussion ein. Und nein, ich habe nicht in einem Land gearbeitet, wo die Frau 5 Schritte nach dem Mann gehen muss. Mitten in Deutschland. Und wenn Ihr morgen Visite geht, dann beobachtet mal… Ich empfehle euch das Studium entsprechender Bücher zur Körpersprache, die es zur Genüge gibt…
Einer der Oberärzte hatte es am Wochenende immer drauf, bei der Visite die Frauen als Aktenträger zu benutzen. Irgendwann knallte er mir mal eine Kurve direkt vor den Brustkorb. An meine Brüste. Es tat weh, weil er Schwung hatte. Er merkte es glaube ich nicht mal mehr. Original Satz „Hier schreiben!“
Was auch oft gemacht wird, um seinen Willen durchzusetzen ist, dass die männlichen Kollegen lauter werden, gerade Vorgesetzte können das gut. Muss das sein? Wenn’s vernünftig ist, wo ist da die Diskussion? Lauter soll aber einschüchtern, Dominanz zeigen. Manchmal erinnerte mich alles an unsere nächsten Verwandten im Regenwald von Zentralafrika… Und ich meine nicht Homo sapiens. Auch Dominanzgesten kommen immer gut, sich groß machen, breit machen. Das führt dazu, das unbewußt bei vermeintlich schwächeren ein Rückzug und Anerkennen der Dominanz desjenigen erfolgt, was wiederum die Aufteilung der Arbeiten und die gesamte Kommunikation miteinander beeinflusst. Bei Kolleginnen habe ich sowas nie beobachtet. Die Spitze solcher Dominanzspiele war für mich, dass ein Assistenzarzt kurz vor der Facharztprüfung, der seinen Willen nicht bekam, mich als Prellbock nutzen wollte, und mich im Stationszimmer anschrie. Es hat an der Entscheidung unseres Vorgesetzten nichts geändert, aber an unserem Verhältnis zueinander nachhaltig. Ich fühlte mich als Prellbock missbraucht und als Frau diskriminiert.
Zum Ausgrenzen gehört für mich auch, dass oft männliche Assistenzärzte bevorzugt werden, wenn es um Eingriffe geht, während Frauen die Stationsarbeit mit Aufnahmen und Briefen aufgehalst wird, am besten verbunden mit einem Satz wie „Du kannst das so gut.“ Ein Kompliment ist dann ein Kompliment, wenn ernst gemeint ist und nicht zum erreichen eines Zweckes wie Abwälzen von Arbeit benutzt wird, dann ist es Manipulation.
Erstaunlich finde ich, dass in vielen Bereichen zuerst an männliche Kollegen herangetreten wird, wenn es um die Vergabe von Vorträgen geht, mit denen ein zusätzlicher Verdienst verbunden ist. Anders sieht es aus mit internen Fortbildungen, für die man Zeit aufwenden muss, aber weder Anerkennung externer Kollegen oder finanzieller Gewinn steht.

Ich möchte Euch einen Anstoß geben, darüber nachzudenken, wie ihr in Eurem Bereich arbeitet. Denkt mal darüber nach, wenn ihr nach Hause geht und der Tag war ok, aber ihr fühlt euch irgendwie schlecht und wisst nicht warum oder wenn sich alles irgendwie ungerecht anfühlt – vielleicht ist es das ja? Stellt euch einfach mal die Frage, ob Chancengleichheit wirklich da ist. Ich habe sie mir oft gestellt, aber die Antwort, die fand ich nicht schön.





Gruß zum Frauentag 2023

7 03 2023

Liebe Leser, Liebe Kolleginnen,

Ein herzlicher Gruß zum Frauentag an Euch alle. In meinem Bundesland – das viele der langjährigen Leser längst kennen bzw. erahnen – ist der Frauentag ein Feiertag. Und dieser gibt mir die Chance zu bloggen. Ich bin von einer regelmäßigen Bloggerin zu einer selten-Bloggerin geworden, was meinen beruflichen Aufgaben geschuldet ist. Doch dieses Blog wollte ich nicht aufgeben. Der geneigte Leser kann erkennen, dass es mich bereits einen großen Teil meiner beruflichen Laufbahn begleitet. Gestartet bin ich als Assistenzarzt, derzeit unterwegs als Hausarzt. Da das Blog aber etabliert ist, gibt es für mich keinen Grund, den Namen zu wechseln oder Irritationen mit anderen bloggenden Kollegen zu erzeugen. Und für alle, die es über die Jahre noch nicht verstanden haben: Assistenzarzt ist weiblich. Da ich mich aber, dank meiner modernen Erziehung, als gleichwertig mit männlichen Kollegen betrachte, fühle ich mich bei „die Ärzte“ genauso angesprochen wie alle männlichen Kollegen. Also war es mir völlig egal, ob Assistenzarzt oder Assistenzärztin. Ganz egal dann doch nicht, denn in den online-Suchmaschinen werden Umlaute häufig benachteiligt – also wurde es der Assistenzarzt im Titel. Und nein, mich stört es nicht als Frau. Für alle gekränkten männlichen Egos kann ich psychotherapeutische Sitzungen empfehlen. Und damit kommen wir zu meinem aktuellen Anliegen: Ich warte seit Jahren darauf, dass auch in der Medizin mal das Thema MeToo und das Verhalten ärztlicher Kollegen ihren Kolleginnen gegenüber thematisiert wird. Jegliche Versuche werden immer im Keim erstickt oder scheitern, weil die Angst größer ist, als das Bedürfnis, das Problem auf den Tisch zu bringen. Der Ärztinnenbund hatte vor einiger Zeit mal eine Kampagne begonnen, aber was nützt das, wenn sich keine Ärztekammer, keine KV, keine Gewerkschaft dahinter stellt und mitmacht? Nichts. Ich habe keine Lust mehr zu Schweigen. Zu schweigen über toxische Männlichkeit, die im Stationsbetrieb ausgelebt wird. Über Sätze, die nett klingen, aber diskriminierend sind, über die Benachteiligung von Frauen in Teilzeit, wenn es um Oberarztstellen geht, über Herrenwitze an der falschen Stelle, und ja auch über übergriffige Kollegen. Wir arbeiten in einem System von Abhängigkeiten, Vorgesetzten, die auch in der Ärztekammer leitende Stellen besetzen und extrem gut vernetzt sind, von Weiterbildungsordnungen, die dafür sorgen, dass Zeugnisse immer noch vom Willen und Wohlgefallen der Weiterbildungsbefugten abhängen, Approbationsordnungen, die nicht ausschließen, dass der Ausbilder auch der Prüfer im Staatsexamen ist. All dies macht unser Ausbildungssystem vom Studium über die Facharztprüfung bis hin zu Zusatzweiterbildungen anfällig für Dinge, die keiner gerne sagt, weil sie mit Druck ausüben, Machtspielen, Dulden und Ertragen und vor allem Schweigen zu tun haben. Und so lange das so ist, so lange wird sich nichts ändern. Und so lange muss ich allen meinen Famulantinnen beibringen: Halt dich von XYZ fern, geh nicht in die Abteilung ABC wenn du es dir aussuchen kannst, lass dich niemals erpressen sondern geh einfach woanders hin, die Stellenlage lässt es endlich zu. Keine von uns hat Lust, weiter zu schweigen, aber viele können nicht reden, weil es sie die Karriere kosten würde in unserem System. Und deswegen muss sich etwas ändern.

Ich danke an dieser Stelle dem Thieme-Verlag und dem eRef-Bereich. Wie ich seit einiger Zeit feststelle, muss es eine Verlinkung zu den Facharztprüfungsfragen geben. Erstaunlich, dass ein seriöses Portal ungefragt an ein Blog verlinkt, aber das nur nebenbei. Ich gehe davon aus, dass die Hälfte der Besucher von dort weiblich ist und damit auch auf dieses Thema stößt, also mache ich mir keine Sorgen, dass ich dafür Leser:innen finde…