Wer denkt, ich entwickle hier eine ökologische Ader, der irrt leider. Es geht nicht um Kliniken mit Solaranlagen, Regenwasseraufbereitung oder Biogaskraftwerk. Nee, mir is was ganz anderes aufgefallen.
Neulich, also schon ne Weile her, da war ich mal im Dienst im Wartezimmer und habe mich in die Höhle des Löwen / der Wartelöwen getraut. Da sah ich die U-21-ich-geh-dahin-weil-ich-hab-keinen-Hausarzt-und-bei-dem-dauerts-immer-so-lang-Clique, wo ein Behandlungswilliger gleich die ganze Party-Klitsche mitgebracht hatte. Party im Krankenhaus-Wartebereich… Die Jugend inhaliert echt zuviel von was auch immer. Jedenfalls hatten alle die Handys gezückt. Die Dinger werden denen wohl während irgendwelcher Auslandsaufenthalte an die Hände transplantiert oder so. Unser Krankenhaus gehört noch nicht zu denen, die das Handyverbot aufgehoben haben wie die meisten Unikliniken. Die Telefonanlage ist wohl noch nicht abbezahlt oder läuft zu gut funktioniert noch ganz gut. Also war ich von Dienstwegen her verpflichtet auf das smarte Schildchen im Eingangsbereich zu verweisen. Doch als ich gerade Luft holte, um in einem Nebensatz die U-21-ich-geh-dahin-weil-ich-hab-keinen-Hausarzt-und-bei-dem-dauerts-immer-so-lang-Clique darauf hinzuweisen, dass sie auch im Wartebereich die Handy ausmachen müssen oder sonst vor die Tür gehen und da telefonieren (und außerdem blockieren sie zu fünft als Begleiter hier Warteplätze für Patienten), da sah ich etwas, was mich überraschte (nach außen blieb ich cool…) Da hatte Miss Nasen-Piercing 2008 ihr Handy zum Aufladen in eine Steckdose im Wartebereich gesteckt…
Assistenzarzt: „Sie machen bitte ihre Handys aus. Und vor allem, sie laden es hier bitte nicht im Wartezimmer auf.“
Miss Nasen-Piercing: „Aber es is leer. Ich muss doch nachher anrufen, dass wir abgeholt werden.“
Assistenzarzt: „Dann nehmen sie ein Handy von ihren Freunden. Diese Steckdosen sind nicht dafür gedacht, dass hier jeder kommt, sich hinsetzt und sein Handy auflädt. Das läuft über den Stromzähler der Klinik.“
Miss Nasen-Piercing: „Ja, aber wozu sind denn dann hier die Steckdosen? Dann müssen sie das ranschreiben.“
Assistenzarzt: „Die sind für Notfälle, falls hier mal was im Wartezimmer ist, damit wir Geräte anschließen können. Was sie machen ist übrigens Diebstahl. Wer sich ein Handy leisten kann und die Gebühren für die diversen Klingeltöne, die sie hier gerade dem Publikum aufgedrängt haben, der kann auch die Stromrechnung bezahlen.“
Miss Nasen-Piercing: „Diebstahl? Das is doch nur Strom.“
Assistenzarzt: „Den die Klinik bezahlt und nicht sie. Also gehört der Strom der Klinik. Und sie ziehen bitte sofort den Stecker raus und machen die Handys aus sonst wird unser Wachmann nervös, der sie gerade auf dem Monitor beobachtet.“
Miss Nasen-Piercing: „Komm wir gehen, muss ich mein Handy halt im Auto aufladen.“ und zu Assistenzarzt gewandt „Sagen Sie dem XY er soll anrufen, wenn wir ihn abholen sollen, wir fahren jetzt schon mal zum XYZ-Club.“
Assistenzarzt: ???
Das blieb aber kein Einzelfall. Einige Dienste später lag ein U-21-Girl alkoholisiert (und der Freund hatte erstmal einen sitzen…! war aber kein Patient) und nach Hyperventilation auf der Trage in der Notaufnahme. Nach dem x-ten Gebölke ihres dämlichen Lachsack-Klingeltons platzte mir der Kragen. Es waren schon zahlreiche Kommentare von anderen Patienten gekommen, die alle noch ganz gut bei Sinnen waren. Von dem einzigen anwesenden demenzerkrankten älteren Herren kam auch was, das war aber nicht ganz so nett, traf jedoch den Kern gut und seeeeehr direkt. Auch die Schwestern hatten Miss Alcopop 2008 schon angewiesen, den Lärmknochen endlich auszumachen oder wenigstens stumm. Aber wenn wir eins lernen sollten als Dienstärzte, dann ist es, dass alkoholisierte U-21-Möchtegern-IT-Girls zum einen Paris Hilton gut finden und sich zum Vorbild nehmen und zum anderen weniger Verstand haben als jemand mit der ausgeprägtesten SAE und cerebrovaskulären Insuffizienz. Der Lacksack tönte zum x-ten Mal durch die neonbeleuchteten Räumlichkeiten und Assistenzarzt mutierte zum wutschnaubenden Stier, bewegte sich gefährlich wie ein Tiger zum Liegeplatz von MIss Alcopop, holte Luft und ließ ein donnerndes „Wenn Sie nicht sofort den Anweisungen des Personals Folge leisten und endlich dieses nervtötende Ding ausstellen, dann setze ich Sie stehenden Fußes vor die Tür und es is mir egal, welcher besoffene Kiffer sie abholt und wie Sie nach Hause kommen!“ erschallen. Dann erblickte Assistenzarzt ein schwarzes Kabel, was sich vom nervtötenden Ding bis zur Steckdose am Kabelschacht wand. Assistenzarzts Sehfeld füllte sich mit rotem Nebel und Miss Alcopop reaktivierte ihr letztes Fünkchen Verstand und begriff, dass der donnernde Schall sich wiederholen würde, nur einige Dezibel lauter und gefährlicher. „Oh, äh, tut mir leid, ich zieh das Ladegerät schon raus. Es is ja nur, weils schon wieder leer ist und wir haben nachher noch was vor.“ Assistenzarzt rief sich ins Bewußtsein, dass man mit Schreien bei Kindern ja nicht weiter kommt und versuchte die Wut zu zügeln. Besonders Bekloppte muss man sensibel behandeln. „Diese Steckdosen sind für medizinische Geräte. Eine Notaufnahme ist kein Ort, wo man sich ausruhen kann wenn man zuviel gesoffen hat und dann hyperventiliert, weil man noch was dazu genommen hat vor der Disco und es dann nicht gegenüber dem Arzt zugibt, und erst Recht kein Ort, zu dem man kommt, um sein Handy aufzuladen bevor man sich dann wieder ins Nachtleben stürzt, um sich weiter volllaufen zu lassen.“
Ja, und dann war da neulich noch der Typ, von dem keiner wußte, wo er hingehört. Er war keiner von unseren Patienten. Er war auch keiner von den Angehörigen. Er saß mehrere Stunden mutterseelenallein in einer Sitzecke auf unserer Etage. Konnt sich auch kein anderer zu ihm setzen, weil er den gesamten Tisch und die Couch mit Papieren vollgepackt hatte und auch noch seine Arbeitstasche (Marke Pilotenkoffer oder so) und die Notebook-Tasche auf einen Sessel gestellt hatte. Dann hatte er sein Notebook in die dort befindliche Steckdose gesteckt. Als ich mal vorbeiging sah ich die Akkuladelampe leuchten und auf dem Bildschirm eine Excel-Tabelle mit Zahlen. Er sah ganz konzentriert aus da in seinem Büro unserer Sitzecke. Stundenlang saß er da so, fast meine ganze Arbeitszeit. Und saugte Strom aus der Wand der Klinik um seine Arbeit zu machen. Ich habe nie rausgefunden, wer er denn nun eigentlich war. MDK? Banker der heimlich versucht die Bilanzen zu frisieren? Versicherungsvertreter? Man weiß es nicht.
Tja, mich würde schonmal interessieren, wieviel Kilowattstunden Strom durch solche „Gäste“ und „Besucher“ unserer Klinik im Jahr dafür draufgehen. Wir sind zum Stromsparen offiziell angewiesen worden, weils so sauteuer geworden ist und eine Klinik ein wahrer Stromfresser. Licht aus überall. Die wenig frequentierten Treppenhäuser sind nachts dunkel, man muss sich erst bis zum Schalter durchfallen schlagen. Das is den Leuten so eingebleut worden, dass sie in den Toiletten und Waschbereichen das Licht ausmachen beim rausgehen… so ab und an sitzt dann noch jemand auf dem Klo in einer der Kabinen und hat in letzter Sekunde sein postrenales Nierenversagen verhindern konnten, aber mit der Folge, sich jetzt nur dank seiner kleinen Stabtaschenlampe zur Pupillenreflexprüfung wieder aus dem Toilettenraum durch den Waschbeckenraum bis zum Ausgang vorzuarbeiten… im Dunkeln, weil ein folgsamer Mitarbeiter das Licht ausknipste, wir müssen ja Strom sparen.
Versteh mich bitte keiner falsch. Von mir aus kann sich jeder aus Spaß volllaufen lassen soviel er will, von Disco zu Disco ziehen soviel er mag und kaufen was für Substanzen er will. Das is mir sowas von egal. Aber er / sie hat dann nichts in meiner Notaufnahme zu suchen und bitte erst recht nicht, wenn ich Dienst habe. Das ist keine Krankheit, das ist Mißbrauch des Gesundheitswesens und kostentreibend für alle Beitragszahler, also auch für mich. Ich bin schon lange der Meinung, dass Miss Alcopop und ihre Brüder und Schwestern sich an den Kosten ihrer Abendunterhaltung im Club Notaufnahme beteiligen sollten. Nach 4 Stunden gehen sie nach Hause oder oftmals in den nächsten Club, haben ihr Handy aufgeladen, einen kostenlosen Checkup gekriegt, sich aufgewärmt, einen Liter Mineralwasser umsonst gekriegt, weil sie sich bewußt einen angetrunken haben und zum Spaß und weils alle machen auch noch irgendwelche Substanzen konsumiert, aber dafür medizinische Versorgungskapazität blockiert, die dafür gedacht ist, schwerkranken Menschen das Leben zu retten oder die Gesundheit zu erhalten.
Von mir aus kann auch jeder arbeiten wo er will… aber is das nicht etwas seltsam, sich in eine Klinik zu setzen und da zu arbeiten? So teuer kann der Strom dann doch auch wieder nicht sein, oder?
Was lernen wir daraus? Ein Krankenhaus ist nicht nur ein Quell der abendlichen Unterhaltung für die U-21, Miss Alcopops und Miss Piercings dieses Landes sondern auch noch eine kostenlose Quelle von Strom, wenn man sich geschickt anstellt. Wie man sieht, ist aus unserem Gesundheitswesen tatsächlich noch viel mehr rauszuholen. Ulla Schmidt hatte Recht…
Und um nochwas klarzustellen: ich untersage keinem Patienten auf meinen Stationen, dass er sein Handy auflädt während er bei uns liegt. Sowas sehe ich in der Regel nicht… das is mir bisher nie aufgefallen… weil ich auch weiß, wie es läuft…
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