Wie bewege ich mich unter leitenden Ärzten?

31 01 2008

Nach der überaus erfolgreichen Patientenratgeber-Mini-Serie in diesem Blog, wollen wir uns nun den motivierten Jung-Ärzten zuwenden, die eine Karriere in der leitenden Ebene der Weißkittelhierarchie anstreben. Das Wichtigste sind die Verhaltensregeln dieses Standes. Also wie man trendy, „in“ oder was auch immer ist… wie man kurz gesagt ein gewisses Understatement repräsentiert.

Hier ein Crash-Kurs:

  • Die Kleidung. Immer zivil tragen und nur einen Kittel drüber ziehen. Egal wie saumäßig die Schlammschlacht an was auch immer abläuft, die Kleidung eines OA oder CA wird nie, ich betone NIE schmutzig, egal welche mistigen Wunden er mit einem Liter NaCl spült oder in was auch immer er mit einer 10 cm langen Nadel hineinbohrt.
  • Das Klinikhandy. Ein Piepser ist für das Fußvolk. Die leitenden tragen ein Handy der Klinik bei sich. Alles andere wäre  nicht standesgemäß. Aber wichtig ist, dass es auch immer klingelt. In jedem Meeting, jeder Stationsbesprechung, jedem Gespräch mit wem auch immer, in der Visite, in Weiterbildungen bei denen andere Vorträge halten. Nichts kommt so gut vor Patienten, wie „Ja, ich bin hier in der Visite. Geht es später oder ist es wichtig? Jaja, ich verstehe… Herr XY, entschuldigen Sie bitte, wir kommen gleich nochmal rein.“ und das anschließende Verlassen der Visite mit dem halbnackten Patienten an dem gerade Demonstrationsunterricht für die PJs abläuft. Hier begreift auch der Patient mit einem MMST-Wert unter 12, wer das Sagen hat.
  • Das Auto. Alles was unterhalb der oberen Mittelklasse ist, gehört nicht auf den Parkplatz. Außer es ist der Leihwagen des Autohauses, auf dem groß der Name des Herstellers prangt. Japaner sowieso nicht, erst recht keine Koreaner. Für die Geschiedenen kommen eigentlich nur Sportwagen in Frage, um gewissen Körperteilen prothetisch zu helfen, denn bei OA oder CA über 45 ist die Gruppe der U25 weiblich eher schwer kontaktfreudig, sofern dieser nicht den Kittel anhat, auf dem CHEFARZT oder OBERARZT steht. Für die Verheirateten sind derzeit die Geländewagen angesagt. Verheiratet mit Kindern und noch kein Wort von Scheidung fährt Kombi, mit Stern oder aus Bayern, die ärmeren aus Schweden (das klassische Oberlehrerauto nannte man es früher) oder alternativ einen familientauglichen Großgeländewagen a’la Seal und Heidi. Naja, dass man 5 Jahre Raten zahlt oder einen günstigen Leasing-Vertrag hat, braucht ja keiner zu wissen…
  • Die Unterkunft. Standesgemäß in bester Innenstadt- oder VIP-Viertel-Lage. Auf jeden Fall mit eigenem Stellplatz. Am besten eigenes Haus. Nicht zu klein. Aber pssst… Mieten geht auch, vor allem weiß man in den oberen Regionen ja nie so genau, wie lange man tatsächlich an einem Ort bleibt oder bleiben will…
  • Die Körperhaltung als Zuhörer auf einem Kongress. Definitiv ist das Beine übereinanderschlagen und das Kopf in die Hand stützen bei gespreitzter Daumen und Zeigefinger-Haltung standesgemäß. Es wirkt jederzeit akademisch, aristokratisch und zeugt von Kultierviertheit.
  • Der Stift. Auf keinen Fall ein simpler Kuli eines Pharmareferenten. Die sind für die Kinder und die Assistenzärzte. Wer wirklich was auf sich hält schreibt mit dem Füllfederhalter. Empfehlenswert sind die mit einer Drehkappe. Ansonsten gilt Punkt 1: Die OA- oder CA-Kleidung wird nie schmutzig.
  • Die Kindererziehung. Die eigenen Kinder einfach zum Fußball gehen zu lassen, also das geht schonmal gar nicht. Ein OA oder CA-Kind muss das gewisse Understatement lernen und das geht nur beim Tennis, Golf, Segeln, Ballett und / oder Klavierunterricht. Das wahre Leben wäre für so zarte Seelen eine zu harte Belastungsprobe. „Und Mutti zwingt Euch auch nicht dazu, oder?“ (sag jetzt ja nicht ja, sonst wirst du enterbt oder kommst aufs Internat zu den katholischen Schwestern…)
  • Die Namensgebung für den Nachwuchs. Vor einigen Jahren galt es in OA- und CA-Kreisen als angemessen, ausgefallene Namen für den Nachwuchs zu wählen. Seitdem aber jemand publiziert hat, dass ausgefallene Namen häufiger bei karrieremäßigen Überfliegern zu finden sind (ob das wohl eher was mit elterlicher Hilfe und Ausbildungsstand zu tun hat als mit Muttis Namenswahl?), seitdem hat sich die Zahl von Schantall, Shanize, Leon, Lara-Marie, Michelle, Auwen, Aragorn, Fynn, Noah, Aaron, Luca, Elias, Nele, Lili, Emily, Justin, Thore  etc. rasant erhöht, weil auch sehr einfache Menschen wollen, dass der Name bei ihrem Kind macht, dass es erfolgreich wird. Inzwischen ist man in den CA- und OA-Kreisen dazu übergegangen, sich der Mehrheit anzuschließen und Teil der deutschen Ranglisten zu sein oder aber einfach die alten deutschen Vornamen zu wählen. Wichtig ist, dass der 2. Vorname so ist wie der des Großvaters, damit die akademische Geschichte der Familie jedem unter die Nase gerieben werden kann, sobald die Frage nach der Namenswahl für den Sprößling kommt. Auf Verirrungen wie Angelina Julie Schmidt wird man in diesen Kreisen eher nicht stoßen.
  • Kultur. Man geht selten ins Kino, erzählt allen, man habe keine Zeit zum Fernsehen und trifft sich mit der High Society des gewählten Wohn oder Arbeitsortes im Theater. Dort hält man eisern durch, egal wie grottenschlecht die unterbezahlten Schauspieler sind oder wie neuzeitlich auch immer die Faust-Inszenierung sein mag. Es geht nicht um das sehen, sondern um das Gesehenwerden. Sekunderär Gewinn ist dabei die Tatsache, dass man in der nächsten Visite alle damit unterhalten kann, wie gut / schlecht  die Vorstellung war und wen man dort gesehen hat.

Das war jetzt sicherlich nicht vollständig, aber eben auch nur ein Crash-Kurs. Wer also in die höheren akademischen Sphären will, der sollte sich beizeiten informieren, wie er zu diesem gewissen Understatement kommt. Von Vorteil ist es dabei, von Beruf einfach Sohn eines Chefarztes zu sein. Der Rest ergibt sich von allein.

Auf Fragen wie „Wie halte ich als Oberarzt das Besteck im Restaurant?“ „Darf ich als Oberarzt auf Behindertenparkplätzen parken?“ „Kriegt man immer die besten Plätze im Kino / Restaurant / Theater, wenn man im Kittel kommt?“ gehe ich auf Wunsch gerne ein anderes Mal ein.


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9 responses

1 02 2008
M.M.

Ich muss mich nur an dich halten, dann steht mir die Welt offen. Also falls das mit dem Tulpenzüchten doch nicht so der Ding für mich ist.

2 02 2008
emergency_doc

>NIE schmutzig, egal welche mistigen Wunden er mit einem Liter NaCl spült
>oder in was auch immer er mit einer 10 cm langen Nadel hineinbohrt.

Sorry…also vielleicht liegt das ja am Personalmangel in OstDDRLand (liebe Grüße nach Österreich), aber „bei uns im Westen“ käme ein „Leitender Arzt“ niemals auf den Gedanken eine Nadel in irgendwas zu bohren geschweige denn zu spülen. Dafür gibt´s das „gemeine Fußvolk“ mit Pharmakulis am Mantel und ausgebeulten Taschen, die vor Klinikleitfäden überquellen. Da muss schließlich auch irgendwo drinstehen, wie man 10cm lange Nadeln richtig spült…

Wenn ich mir mal einen Crosspost erlauben darf: vor zwei Jahren hatten wir ein interessante Diskussion über die „Gothaer-Werbung“ im TV. Wer sich dran erinnert: ein armer Privatpatient wird von den Sanis in die Klinik gefahren und erblickt zunächst -zu Tode erschrocken- ein Dreibettzimmer (3-Bett-Zimmer !!!!) und eine „alte, fette Oberschwester“…erst als er die Einbett-Suite sowie das junge Schwestern-Playmate des Jahres erblickt (schließlich Privatpatient), entspannen sich seine Züge deutlich. Auch dem Zuschauer wird klar: puhhhh…gerade nochmal gut gegangen. Dann jedoch, ohne Vorwarnung, treten zwei Assistenzärzte ins Rampenlicht…dümmlich dreinblickend, offensichtlich völlig mit der immensen NOtfallsituation überfordert, pickelig und schüchtern (also im Grunde die typischen Österreicher)…der Zuschauer ahnt, dass sich hier nun ein Drama höchster Güte entwickelt. Wir zittern um den armen Patienten…soll sich hier, in der Blüte seiner Jahre, das Schicksal entscheiden ? Gibt es noch einen Ausweg ?? Warum hat er auch keine Gelben Seiten dabei („….vielleicht hätten Sie jemanden fragen sollen…..“) ??? Doch als die ersten Zuschauer kurz davor sind ihrer Streß-Inkontinenz zu erliegen steigt ein sympathischer, gebräunter Chefarzt -Deus ex machina- herab, -die Goldbrille locker im Gesicht- und erlöst uns alle. Nun wissen wir, der Patient wird wieder gesund. Dank dem Chefarzt….dank der Gothaer. Hallelujah !!!

Soviel zur Rückblende. Auf diese Werbung hin, entwickelten einige Assistenzärzte doch enorme Spannungen bezüglich Gothaer-Vertreter und Privatpatienten. Die bemerkenswerteste Reaktion erlaube ich mir mal hier zu posten:

Crosspost on:
————————–
„…Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ’nen Chefarzt in der Ambulanz gesehen habe – geschweige denn sich um einen akut Verletzen kümmernd.
Und ich habe viele CAs kennengelernt.

Den meisten muss man jedes noch so geläufige Medikament vorsagen.
(Aber auf ihren bezahlten Kongressreisen wissen sie – und nur sie – besser als jeder andere, über Dinge zu referieren, die sie nie gemacht haben oder nicht beherrschen.
Im Übrigen: Weiterbildung findet heute gegenläufig statt.
Der Chefarzt nötigt dich alle paar Wochen zu einem Referat. So kann er sich bequem jede Woche von einem anderen Assi die aktuellen Erkenntnisse im Rahmen eines morgendlichen Unterhaltungsprogramms servieren lassen.)

Umgekehrt haben nur die wenigsten jemals etwas von ihrem CA persönlich gelernt. Ganz im Gegenteil – Diskussionen finden immer nur dann statt, wenn CA1 im Clinch mit CA2 einer anderen Institution steht und per se alles ablehnt was sein Erzfeind in seinem ebenso kranken Hirn zum Dogma erklärt.

Eine dramatische Negativselektion von über die Jahre gestörten Habilitanden, unter präpensionären Chefarzttyrannen selber auf Hass konditionierte Karrieristen – kranke Gestalten, die die Stunde nutzen um endlich selber treten, tönen und abkassieren zu können.

Ich wünsche den Herren: (Vorstände der Gothaer)
Dr. Werner Görg
Dr. Helmut Hofmeier
Bryan Patrick Hahn
Jürgen Meisch
Dr. Herbert Schmitz
Helmut Söhler
Dr. Martin Wagener

und insbesondere dem Aufsichtsratsvorsitzenden dieser chefarztgläubigen Truppe, Dr. Manfred Scholz

daß sie und ihre Familien eines Tages tatsächlich in die altersbeflecken, gierigen Hände dieser menschenschindenden Golfspieler geraten.
Ich wünsche ihnen, daß der ambulanzerfahrene Assistent oder Oberarzt schmunzelnd zur Seite tritt und der chefarztgläubige Herr Vorstand von der graumelierten Inkompetenz persönlich verbehandelt wird.

Diese Anzeigenkampagne in die Spitze der Unverschämtheit. Eine Herabwürdigung der eigentlichen Leistungserbringer,.
Eine Frechheit und dumme Verunglimpfung derjenigen, die sich für die Patienten
am Tag,
in der Nacht,
am Wochenende
und immerzu sonstwas aufreißen,
während der Alte schlummert oder an sonnigen Kongressorten sabbernd Büffets leerfrißt und mit Seinesgleichen verbal um die Wette profiliert.

———————-
Crosspost off

Ich denke, damit sind doch die meisten FRagen geklärt. „Wie bewege ich mich unter leitenden Ärzten“ ? Als guter Arzt am besten gar nicht 🙂
In unserer Abteilung sind die „Oberärzte“ mittlerweile abgeschafft worden und durch „Leitende Ärzte“ ersetzt worden. Ergebnis ist nun eine Abteilung mit einem Chefarzt und weiteren sieben „Chefarzt´chen“, die sich alle als Primadonnen gebärden. Echt witzig. Inkompetenz hoch acht. Wir sind übrigens dazu übergegangen auf unsere Kittel vor das „Assistenzarzt“ quasi als Kontrapunkt der „Leitenden Ärzte“ ein „Leidender Assistenzarzt“ zu schreiben. Hat was. Echt 🙂

2 02 2008
Assistenzarzt

Tja, ich wüßte nicht, was man dem noch hinzufügen sollte.

Außer, dass es wirklich Privatpatienten gibt, die darauf bestehen, dass der CA eine Leber oder KM-Punktion macht oder halt die Angio. Nun ja, es gibt viele Privatpatienten, die glauben, was die Gothaer in visueller Form umgesetzt hat. Dass der CA das letzte Mal vor 20 Jahren in einen Beckenkamm gebohrt hat oder nur alle paar Wochen mal ne Angio macht, wissen die ja nicht… Also es kommt ab und an mal vor, dass ein CA tatsächlich Interventionen selbst macht bei uns, zum Teil wg der Pat. und zum Teil vielleicht wegen des CA-Egos, ich weiß nicht.

Ihr habt zuviele Häuptlinge und zuwenig Indianer bei euch…

2 02 2008
Assistenzarzt

PS: @emergency_doc: Schön das du wieder Postings machst. Ich hoffe, du fängst wirklich bald mit einem eigenen Blog an, auch wenn du nur alle drei – vier Wochen was schreibst.

5 02 2008
Wissenswerkstatt | Hippokrates 2.0 » Die Szene der Medizin- und Arztblogs | Werkstattnotiz LXI

[…] imitiert und welche Namen Chefärzte ihren Kindern geben, der ist hier gut aufgehoben. Zur Namensgebung: "Wichtig ist, dass der 2. Vorname so ist wie der des Großvaters, damit die akademische […]

6 02 2008
Benedict

Was ist schlecht an „neuzeitlichen“ Faust-Inszenierungen?

6 02 2008
Assistenzarzt

Zu weit ab vom Original, zu sehr die Künstler und das Ego des Intendanten im Vordergrund und nicht die Handlung, zuwenig Goethe. Naja, nimms nicht persönlich, ich habe niemanden direkt ansprechen wollen, nur ausdrücken, dass manchen die Qualität des Stücks egal ist, Hauptsache man wird gesehen.

10 02 2008
mager

Gibt es den Gothaer-Spot auch online? (habe ihne bei YouTube nicht gefunden)

15 02 2008
serenity

Ich habe generell panische Angst vor Ärzten(schlechte Erfahrungen, Fehldiagnosen und so doofe Sachen 😉 ) Als ich mal länger im KH lag, hatte ich eine Dame neben mir, die immer den Chefarzt? (Oder Oberarzt, keine Ahnung) verlangte.
Hinterher beschwerte sie sich immer, dass sie kein Wort verstanden hätte von dem was er ihr gesagt hat (ich schon und ich bin froh, dass SIE es erst am Tag meiner Entlassung verstanden hat…) Die fantastischen Assistenzärzte haben mir immer alles toll erklärt, haben NIE daneben gepiekst und sind mit meiner Panik immer ganz toll umgegangen. Während die großen Ärzte mich immer mit Tavor vollgepumpt haben. Ich hoffe die fantastischen Assistenzärzte sind nicht solche Chef oder Oberärzte geworden von denen man kein Wort mehr versteht;)
Zum Abschied haben sie mir ein Paar der tollen lila Gummihandschuhe geschenkt.

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